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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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kommt, es seinen Vorgesetzten sofort weiterzugeben, selbst wenn er dadurch nächste Anverwandte belasten sollte. Soweit so gut. Da hatte auf einmal Papa Federsen die Frechheit, ihm den kleinen Simka-Wagen zu verweigern, den er so gern zu seinem achtzehnten Geburtstag geschenkt gekriegt hätte. Der Alte hatte einen dicken Kopf, aber er, Klaus, ist auch kein Schlappschwanz. Es ging hart auf hart, es war ein wilder Kintopp. Bis er dem Alten zeigte, was eine Harke ist, und anfing, ihm von der genannten Verpflichtung jedes Hitlerjungen zusprechen. Zuerst hat Papa Federsen nur gelacht. Dann hat er pampig erklärt, wenn einer irgendwelches Gequatsche weitergebe, das er von ihm, dem alten Federsen, ohne Zeugen gehört haben wolle, so einer sei ebenso doof wie moralisch verkommen und setze sich mit dem Popo gehörig in die Nesseln. Aber wenn der Alte geglaubt hatte, er habe es mit einem Säugling zu tun, dann hatte er sich verrechnet. Er nämlich, Klaus, sei nicht von gestern, er habe diesen Einwand vorausgesehen und sich beizeiten seinen Zeugen beschafft. Er habe sich mit dem Dienstmädchen Gertrud gutgestellt und sich von ihr schriftlich bestätigen lassen, daß sie dies und jenes gehört habe, an sich Unverfängliches; doch wenn Klaus sich gezwungen gesehen hätte, Ergänzungen beizusteuern, dann hätte dieses Unverfängliche auf einmal ein ganz anderes Gesicht bekommen und ein recht unerfreuliches Bild von gewissen Meinungen und Taten Papa Federsens gegeben. Der Alte sei ein Realpolitiker, und Klausens theoretische Erwägungen über die Pflichten eines Hitlerjungen zusammen mit dem Dokument des Dienstmädchens Gertrud hätten ihm den rechten Begriff beigebracht von dem Wert seines Sohnes. Er habe erkannt, daß es eines solchen Sohnes nicht würdig sei, länger zu Fuß zu gehen, sondern daß er notwendigerweise seine Besorgungen in einem kleinen Simka erledigen müsse. Seitdem brauche er, Klaus, nur gelegentlich auf die Anzeigepflicht der Hitlerjugend hinzuweisen, und der alte Herr werde handsam.
    Das also erzählte Klaus. Er gebrauchte viele Slangworte, doch Raoul verstand ihn. Raoul rauchte an seiner Zigarette, aber als sie ausging, steckte er sich keine neue an. Es wurde kalt auf dem Perron des Cafés, die meisten Gäste entfernten sich oder flüchteten ins Innere. Raoul merkte nichts davon, er hörte zu.
    Er fand es nicht sehr fair, was dieser Klaus getan hatte. Aber war man nicht in einer Epoche, die alle Werte umwertete, und war Fairneß nicht etwas Relatives? Soviel ist gewiß, dieser Knabe Klaus ist verflucht gerissen. Seine Methodenmögen vulgär sein, barbarisch: doch mit der Roulette und dem André-Gide-Photo allein kommt man nicht durch den Dschungel dieser Welt, die Totenschädel gehören unbedingt dazu. Vielleicht waren die Mittel, welche die Renaissance anwandte, in der Form ein bißchen feiner als die des Knaben Klaus, in der Sache waren sie die gleichen. Ohne solche Mittel wäre Hitler nicht Hitler, Mussolini nicht Mussolini geworden. Er, Raoul, hat die rechte Witterung gehabt, als er annahm, von Klaus könne man was lernen.
    Und der Bericht dieses seines Freundes Klaus, des Nazi und Schwimmchampions, erzählt auf dem Perron des Cafés am Boulevard des Capucines nach dem Besuch bei Madame Yvonne, senkte sich tief in seine Seele.
    Raoul hatte zuweilen kindische Gelüste. In der Nähe seiner Wohnung, im Bois, lag ein kleiner, vornehmlich für Kinder bestimmter Tiergarten. Dort schaute er oft und lange den Affen oder den Raubtieren zu, oder er setzte sich in eines der winzigen, albernen Boote, die von selber, ohne Ruder, die verschlungenen Wege eines Zauberbächleins hinabtrieben, an märchenhaften Ufern entlang.
    Heute ließ er sich’s was kosten und machte die Fahrt dreimal. Dabei überdachte er sein Projekt des Jugendtreffens. Zuerst hatte alles so einfach ausgeschaut; aber sowie man ins einzelne ging, sah man, wie viele Hemmungen zu überwinden waren, und darum wohl auch hatte er die Durchführung immer wieder vertagt. Jetzt indes weiß auch Klaus Federsen um seinen Plan, jetzt geht es um seine Würde: er muß seiner Unlust Herr werden und die Geschichte zu Ende bringen.
    Sich das vornehmen ist leicht, es durchführen verdammt schwer. Flamingos standen reglos auf einem Bein, eine Palmenoase hob sich. Sein Boot fuhr einen Augenblick fest, löste sich wieder, ringsum war Kindergeschrei. Nie wird er, das hatte er jetzt endgültig eingesehen, zum Führer der Delegation der »Jeanne d’Arc« designiert

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