Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
gibt bei uns«, erklärte Raoul geradeheraus, »wie wahrscheinlich auch bei euch, allerlei Zwistigkeiten und Rivalitäten. Vielleicht designieren sie nicht mich, sondern einen andern.« – »Das wäre ja gelacht«, erklärte Klaus lärmend und klopfte dem größeren Raoul die Schulter, stolz, daß er sich diese Vertraulichkeit erlauben durfte. Dann fiel ihm die Idee ein, die Raoul ihm suggeriert hatte. Strahlend über sein ganzes, breites Gesicht, verkündete er: »Ich hab’s. Wir erklären einfach, daß wir am liebsten mit dir zusammenarbeiten.«
»Gewisse Beziehungen habe da auch ich«, sagte Raoul. »Es verkehrt bei Mama ein Deutscher, von dem man mir sagt, er sei nicht ohne Einfluß. Vielleicht, wenn man ihn darauf stößt, befürwortet auch er meine Kandidatur. Es handelt sich um einen gewissen Herrn Wiesener.« Klaus, sowie dieser Name fiel, wurde nüchterner. »Wiesener«, wiederholte er, nachdenklich, zögernd. »Ja, ich kenne ihn. Einfluß hat er, keine Frage. Aber er hat es dick hinter den Ohren. Treue und Redlichkeit sind seine Stärke nicht. Ein geschniegelter Bursche«, sagte er, und seine kleinen Augen blickten unfreundlich. Der Sohn diesesgeschniegelten Burschen hielt es für an der Zeit, vom sozusagen Geschäftlichen auf Privates abzulenken. »Möchtest du dir nicht meinen Hausaltar anschauen?« forderte er den andern auf und führte ihn zu der Zimmerecke, wohin Klaus schon lange geschielt hatte; doch hatte er es nicht für fein gehalten, seine Neugier deutlicher zu zeigen.
Es waren aber in dieser Ecke auf einem kleinen Tisch drei weiße, sauber präparierte Totenschädel aufgestellt, zwischen ihnen eine Photographie André Gides und daneben die Drehscheibe einer Roulette. »Jetzt bin ich darüber hinaus«, erläuterte lächelnd Raoul, »jetzt finde ich das Ganze ein bißchen kitschig. Aber solange ich nicht erwachsen war, haben mir diese Symbole allerhand bedeutet, und man soll für die Symbole seiner Jugend Pietät haben. In der Sache selber hat sich übrigens meine Anschauung nicht verändert.« – »Willst du mir sagen, was es bedeutet?« fragte ehrfürchtig Klaus. Raoul erklärte bereitwillig: »Die Schädel, das bedeutet die Barbarei, den Krieg, das Wilde, Todsüchtige. Die Roulette, das ist das Fatum. Und André Gide, das ist die Kunst, der Geist. Diese Dreieinigkeit, das ist das Grundprinzip, nach dem ich mein Leben eingerichtet habe.« – »Knorke«, staunte Klaus. »Besonders die Schädel. Darf man anrühren?« fragte er, und er strich über das Gebein und drehte an der Roulette.
Klausens Bewunderung veranlaßte Raoul, ihm seine ganze Wohnung zu zeigen. Er hauste abgeschlossen, sturmfrei, er hatte seinen eigenen, direkten Ausgang in den Garten. Er ließ den andern die gediegene, etwas preziöse Einrichtung bewundern, die hellen, mit schöngebundenen Büchern bestellten Borde, den alten Schreibtisch. Zeigte ihm die Wendeltreppe, die von seinem Wohn- und Arbeitszimmer hinauf in sein Schlafzimmer führte. »Knorke, knorke«, wiederholte immer nur Klaus Federsen. Raoul beschloß, Wiesener zu fragen, ob ein anständiger Mensch dieses Wort anwenden könne oder ob es zu vulgär sei.
Nach dem Rundgang nahm man einen Cointreau. Dann kehrte Raoul zum »Geschäftlichen« zurück. »Wenn du deinenVater gewinnst«, erwog er, »und ich Wiesener, wenn du von der einen Seite drückst und ich von der andern, dann werden wir das Kind schon schaukeln.« Es hob Klaus Federsens nationalsozialistisches Herz, daß der bewunderte Raoul annahm, die Deutschen könnten, wenn sie nur ernstlich wollten, auch der französischen Delegation den von ihnen gewünschten Führer aufzwingen; andernteils war ihm der Name Wiesener unbehaglich. Raoul erwog weiter: »Wenn Mama ihn darum bittet, dann sagt Wiesener schwerlich nein. Ich zweifle nur, ob Mama sich einmischen will. Sie ist eine gescheite Frau, aber an Politik leider wenig interessiert.«
Klaus leckte sich die süßen Reste des Schnapses von den Lippen. Die ganze Zeit war er klein und häßlich vor dem eleganten französischen Jungen dagesessen: jetzt aber, da sich herausstellte, daß der nicht Herr in seinem Haus war, war er wieder obenauf. »Mir redet keiner mehr drein«, verkündete er mit breitem, sieghaftem Lächeln. »Mein alter Herr und meine alte Dame haben bei mir ausgespielt. Die hab ich in der Hand, Mensch«, erklärte er prahlerisch. Sie saßen auf dem Rundsofa. Raoul saß schlank da, ein Bein übergeschlagen, in etwas zu guter Haltung für das
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