Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
ihnen, er hat sie nicht angerührt, er hat sie verschont, und sie, zum Dank, haben ihm sein Leben kaputtgeschmissen. Zertreten die Schmöcke. In die Müllgrube mit dem Geschmeiß.
»Geben Sie mir das Dossier, das Gehrke uns geschickt hat, den Akt über die ›P. N.‹«, verlangte er von Maria. Maria suchte ihm das Schriftstück heraus. Er studierte, was da über den Verleger Gingold zusammengetragen war. Es war allerhand. Ein Mann mit einem bißchen Grütze konnte den Herren Heilbrun und Trautwein allerhand zu schaffen machen.
Aber blieb ihm wirklich nichts mehr als eine so jämmerliche Rache? Er kam sich vor wie ein Dienstmädchen, das der Rivalin Vitriol ins Gesicht schütten will. Was hat er sich da vorgemacht? Alles verloren? Quatsch. Die Nerven hat er verloren, sonst nichts. Er hat sich anstecken lassen von Lea und von Raoul. Kaltes Blut, Erich Wiesener. Schalten Sie gefälligst Ihre Vernunft ein.
Klar, daß er die Wahl hat. Gerade wenn die Partei ihn fallenläßt, dann muß er doch bei Lea gewonnen haben. Ihre Stummheit, ihre Verstörtheit, ihre hastige Abwehr, daß er nicht kommen solle, das beweist gar nichts, das war nichts als die Erregung der ersten Minute. Er hätte sie nicht am Telefon überrumpeln dürfen. Wenn er sie sieht, wenn er ihr die Dinge in Ruhe auseinandersetzt, dann wird alles anders. Lea ist gerecht und gescheit, man kann mit ihr reden. Oh, er hat eine ganze Menge für sich vorzubringen. Er hat sich, als der Parteigenosse ihn befragte, ritterlich vor sie hingestellt. Er hat keine Sekunde gezögert. Das war selbstverständlich, aber trotzdem hätte es nicht jeder getan. Und daß überhaupt das ganze Unglück passieren konnte, daß die »P. N.« den blöden Artikel bringen konnten, das war doch nur, weil er, ihr zulieb,die »P. N.« geschont hatte. Das muß sie begreifen, das wird sie begreifen. Er saß über dem Dossier. Er wird ihr das Dossier zeigen. Er wird ihr nachweisen, wie leicht es gewesen wäre, gegen die »P. N.« vorzugehen. Heydebregg hat ihn dazu aufgefordert. Er hat es nicht getan. Ihrethalb. Das muß sie einsehen. Das bindet sie aneinander, für immer.
»Jetzt ist es aber höchste Zeit, daß Sie den Parteigenossen anrufen«, mahnte Maria. »Ja«, schrak er auf, »stellen Sie die Verbindung her.«
Heydebreggs Stimme kam aus dem Apparat, tief, gemessen. Überraschenderweise aber sprach sie nicht von der schwebenden Angelegenheit, sondern: »Sie wollten mir doch ein Projekt ausarbeiten, Parteigenosse«, sagte sie, »wie man der Verleumdungskampagne einer gewissen Presse ein Ziel setzen könne.«
Für den Bruchteil eines Augenblicks stockte Wieseners Hirn. Dann, in rascher Folge, überstürzten sich seine Erwägungen. Was wollte Heydebregg? Warum kam er gerade jetzt mit dieser Mahnung? Wollte er ihn ausprobieren, ob und wieweit er brauchbar sei im Kampf gegen die »P. N.«? Offenbar. Offenbar sollte diese Aufgabe den Prüfstein abgeben. Wenn er jetzt Vorschläge machte, sogleich, Vorschläge, die klar und für die Arbeit gegen die »P. N.« brauchbar waren, dann hatte er alles wiedergutgemacht, dann hatte er seine Zuverlässigkeit erwiesen, seine Verwendbarkeit, dann war er überm Berg.
Da stand er also trotzdem am Kreuzweg. Da war sie, die Alternative. So klar war sie gestellt, daß einem die Augen übergingen und das Herz weh tat. Wenn er das Projekt gegen die »P. N.« ausarbeitet, dann ist seine Karriere gerettet, aber Lea verloren. Wenn nicht, dann rettet er seine Freundschaft mit Lea und schneidet sich seine Karriere für immer ab.
Oder doch nicht? Oder gibt es doch einen Ausweg? Kann er vielleicht trotzdem beides retten? Lea ist von dem Gesindel genauso attackiert worden wie er. Sie ist nicht weniger beschimpft. Es liegt an ihm, es ist einfach seine Pflicht, dieseBeleidigung Leas zu rächen. Sie muß das einsehen. Es geschieht auch ihrethalb, ja, es geschieht vor allem ihrethalb, wenn er das Projekt gegen die »P. N.« ausarbeitet. Von Rechts wegen muß sie genauso wütend sein wie er. Von Rechts wegen muß sie genau das gleiche Bedürfnis empfinden, das Geschmeiß zu zertreten. Aber wenn sie es nicht empfindet? Lea ist sonderbar. Vielleicht wird sie jetzt gerade das Lamm des Armen retten wollen.
Es ist unfair. Es ist unfair vom Schicksal, von der Partei, vom lieben Gott, oder wie immer man es nennen will, ihn vor eine solche Alternative zu stellen. Ihn so höhnisch klar zu fragen: »Was ziehst du vor, den äußern Glanz oder das Private, das sogenannte
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