Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
entschuldigend Trautwein. »Man gewöhnt sich furchtbar schwer an den Gedanken, daß es auch auf unserer Seite so viele Dummköpfe gibt.« – »Man muß sich aber daran gewöhnen«, zuckte Heilbrun die Achseln. »Drüben mögen sie neunundneunzig Prozent Dummköpfe haben, wir fünfundneunzig.« Er sank in sich zusammen, wurde wieder der ewig müde Heilbrun. »Die Dinge gehen nicht so, wie sie sollen«, erzählte er Trautwein trüb, vertraulich. »Unser Gingold ist ein etwas rechenhafter Herr, das wissen Sie ja selber. Vielleicht hätte ich mir doch, als ich die ›P. N.‹ machte, einen andern Finanzmann aussuchen sollen. Aber für alles kriegen Sie aus den Menschen leichter Geld heraus als für die Literatur der Besiegten. Herr Gingold hat das Geld für die ›P. N.‹ nicht wegen meiner schönen Augen gegeben und nicht wegen der Wahrheit, sondern wegen der Verzinsung. Er ist ein vorsichtiger Mann, und sowie ein paar Leser rebellieren, kriegt er Eisgang in den Hosen.«
Heilbrun ging mit etwas steifen, schweren Schritten zu seiner Couch und setzte sich umständlich, man sah, daß er sechzig war. »Ich habe es nicht leicht, lieber Trautwein«, sagte er. »Wenn ich könnte, wie ich wollte, ich wäre gern ein bißchen large. Von mir aus könnten Sie für Ihre Tschernigg und Meisel Raum haben, soviel Sie wollen, und Geld, soviel Sie wollen. Aber es geht eben nicht nach mir allein. Wir müssenrechnen. Wenn einmal zwanzig Abonnenten abspringen, dann fängt unser Gingold an mit Heulen und Zähneklappern, und sowie ein bißchen Fett da ist, das man verwerten müßte, um das Blatt besser zu machen, schöpft er es weg. Wir sind verdammt arm, wir müssen sparen. Für jede überflüssige Zeile, und wenn sie noch so gut ist, müssen wir eine notwendige weglassen. Ich möchte Ihren Schützlingen gerne helfen, aber ich kann leider die ›P. N.‹ nicht als eine humanitäre Anstalt führen.« Er legte sich zurück, schloß die Augen, seufzte. »Man wirft mir vor«, sagte er, »ich sei leichtsinnig. Man begeifert mich, weil ich mir ab und zu in einem eleganten Klub eine Nacht um die Ohren schlage. Ich habe verdammt viel zu arbeiten. Darf ich mir niemals Abwechslung gönnen, Aufpulverung? Vielleicht ist das, was wir hier machen, nicht sehr nützlich, aber sicher ist es das Nützlichste, was Emigranten heute machen können. Soll unsereiner, damit er ab und zu einem Schnorrer hundert Franken mehr spendieren kann, puritanisch leben und seine Arbeitskraft schmälern?«
Trautwein sah, wie müde und gereizt Heilbrun war. Er bedauerte ihn, sein Groll war vorbei. Was Heilbrun vor ihm ausgepackt hatte, war, das wußte er, nur ein Teil seiner Sorgen; es gab in seinem Leben noch mehr Trübes. Seine Familienangelegenheiten waren verwickelt. Er lebte die meiste Zeit getrennt von seiner Frau; seine Tochter war in München verheiratet gewesen, mit Doktor Kleinpeter, dem bekannten Internisten, auch da schien es nicht mehr zu klappen, die Tochter konnte nicht mehr in Deutschland bleiben, die Ehe des »arischen« Arztes mit der Jüdin schien in die Brüche zu gehen. Mit Heilbruns Finanzen stand es sicher schlecht. Man durfte mit ihm nicht allzu scharf rechten. Es war schließlich begreiflich, daß sich Heilbrun einmal gegen seinen Hauptgegner, gegen Wiesener, hatte Luft machen wollen. Heilbrun selber wurde von den Nazi wüst durch den Dreck gezogen, in ihren Zeitungen, im Rundfunk, es gab keine Verleumdung, die man ihm nicht angehängt hätte. »Ich vergesse immer wieder«, bekannte Trautwein reumütig, »daß wir nicht mehr ineiner Welt des Humanismus leben. Ich selber habe auch manchmal die Mistgabel genommen und nicht das Florett.«
»Das haben Sie, lieber Trautwein, das haben Sie«, nickte Heilbrun kräftig mit seinem großen Kopfe Zustimmung. Beide dachten an die Ärsche und Fürze, die Herrn Gingolds Mißstimmung erregt hatten, und lächelten.
Am Donnerstagabend pflegte Heilbrun Gäste bei sich zu sehen. Sepp und Anna Trautwein kamen ziemlich oft. Sepp hatte nicht viel Aug für Raum und Hausrat, doch selbst ihm fiel immer wieder auf, wie gespenstisch Heilbruns Pariser Wohnung an seine Berliner Räume erinnerte. Im Gegensatz zu vielen andern hatte Heilbrun seinen Hausrat aus Deutschland retten können. Da standen sie herum, die großen, altmodischen, unbequemen, zu prunkvollen Möbel; Anna hatte schon das erstemal bemerkt, daß sie in der gleichen Anordnung standen wie in Berlin. Auch daß man aus dem gleichen, viel zu reichlichen Geschirr
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