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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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kann, auch wenn man auf diesem Gebiet noch soviel erreicht, die Nazi nicht damit schlagen. Den Massen Brot zu geben ist ein guter Köder, ihnen Butter darauf zu streichen ein besserer, aber der beste ist, ihre Dummheit zu kitzeln. Denn das erste und das zweite sättigt nur den Leib, aber das dritte die Seele.«
    Trautweins Behagen schwand, während der Junge, von Tschernigg liebevoll bewundert, so frech daherschwatzte. Ganz leise stieg ihm der Verdacht auf, Harry Meisels Ausbruch über das Unverständnis der Welt vor der Begabung richte sich ein wenig gegen ihn selber. Unmut stieg in ihm hoch, immer stärker. Was hatte der Junge so albern und arrogant über Marxismus und Massenpsychologie daherzuschwatzen? Es gab doch, weiß Gott, Gegenstände, die ihm näher lagen. Er mußte zum Beispiel, und wenn er noch so abgebrühttat, begierig sein auf ein Wort von ihm, welche Wirkung die Geschichten aus »Sonett 66« gehabt hätten, die er in den »P. N.« veröffentlicht. Aber nein, da saß er, der Klugscheißer, und redete geschwollen daher von Marxismus und Psychologie. So ein Snob. So jung und schon so großkopfig. Mit seinem verdammten Takt. Warum machte er nicht das Maul auf und fragte? Nein, das war ihm zuwenig fein, dafür hatte er zu gute Manieren. Rotzbub, verdammter, grünes Früchtel, fluchte Trautwein in seinem Innern.
    Auf die Dauer wurde ihm klar, daß Harry niemals von allein vom »Sonett 66« zu reden anfangen werde, und schließlich, da es ihn trieb, von der Veröffentlichung zu erzählen, begann er, mit einem kleinen innern Seufzer über seinen Mangel an Würde, selber zu berichten, was für eine heiße Suppe er sich mit der Publikation eingebrockt habe. Nicht ohne Humor schilderte er die Empörung der Leser und der Redaktionskollegen.
    Harry hörte zu, höflich, doch wie es schien, ohne viel Interesse, und als Trautwein zu Ende war, machte er nur eine kleine Bewegung mit der Hand, sehr hochmütig und so, daß er mit dieser Handbewegung seine ganzen Leser, die Wirkung auf sie, ihre mögliche Zustimmung und ihre sichere Entrüstung ein für allemal wegwischte. Ihn überrascht Trautweins Erzählung ganz und gar nicht. Hat er sich nicht eben erst über die Dummheit der Welt ausgelassen? Ihm ist immer klar gewesen, ja er hat es für selbstverständlich gehalten, daß auch diejenigen, zu deren Gunsten die kleine Geschichte geschrieben ist, sie ablehnen und ihn angreifen würden. Das ist es ja eben. Was sonst soll die Welt mit einem Begabten anfangen? Sie kann nichts tun als ihn ankläffen. Fünfzig Jahre nach seinem Tod stellt sie dann Betrachtungen darüber an, warum sie ihn fünfzig Jahre vorher angekläfft hat.
    Trautwein versuchte, die Menschenverachtung des bittern Harry einzudämmen. Die Publikation in den »P. N.«, das gebe er zu, sei vielleicht ein Fehlschlag gewesen, wiewohl auch das nicht durchaus feststehe; denn die Krittler meldetensich viel schneller zum Wort als die Ergriffenen. Aber der Mann, auf den es ankomme, der Mann, auf den er seine Hoffnungen gesetzt habe, der Schriftsteller Jacques Tüverlin, habe ja vorläufig überhaupt noch nicht gesprochen. Harry Meisel möge also gefälligst mit seinem kaltschnäuzigen Urteil über die Wirkung von Kunst warten, bis Tüverlin sich geäußert habe.
    »Mir genügt sein Schweigen«, erwiderte Harry Meisel. »Ist sein Schweigen nicht Urteil genug?« – »Sie sind schon wieder vorschnell, mein Lieber«, entgegnete ein bißchen schulmeisterlich Trautwein. »Es ist richtig, Tüverlin hat noch nichts erwidert, er hat nicht einmal den Eingang des Manuskripts bestätigt. Vielleicht hat er es noch gar nicht gesehen. Ich glaube gelesen zu haben, daß er eine Studienreise in die Sowjetunion angetreten hat. Stellen Sie also, bitte, Ihr Urteil zurück, bis er wieder da ist.«
    Harry Meisel zuckte die Achseln und wurde noch pessimistischer. Wenn ein Werk etwas tauge, meinte er, dann gebe es immer etwas, was seine Wirkung verhindere. Das Unbegabte hasse aus innerm Gesetz heraus das Begabte. Natur, Schicksal und Menschen täten sich zusammen gegen das, was den Durchschnitt überrage. Tausend tückische Zufälle arbeiteten dagegen. Irgendwo werde das an Tüverlin gesandte Manuskript schon verlorengegangen sein.
    Sepp Trautwein, heftiger, als es sonst seine Art war, verwies dem Jungen sein Gerede, seine Ungeduld und seinen Dünkel. Tüverlin, erklärte er zuversichtlich, werde das Manuskript lesen, seinen Wert erkennen, Harry Meisel zum Durchbruch verhelfen.
    »Wenn er

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