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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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hatten, für Händels Oratorium »Judas Makkabäus« einen neuen Text zu dichten, und zwar sollte aus dem jüdischen Nationalhelden der Heros des Dritten Reiches werden, Adolf Hitler.
    Die Gedanken und Gefühle, welche diese Meldung in ihm geweckt, das Gelächter und die brennende Scham darüber hatten ihn verhindert, Annas Mitteilung jene Aufmerksamkeit zu schenken, die er sonst sicherlich dafür aufgebracht hätte. Andere mochten über diese Zeitungsnotiz hinweglesen; sie war ein lächerliches Detail, maß man sie an den ungeheuerlichen übrigen Verbrechen der Nazi. Ihn aber, Sepp Trautwein, erregte gerade dieser tolle Streich, er konnte dazu nicht schweigen, er war randvoll von Hohn und Empörung. Erst wollte er Anna davon sprechen, aber dann bezwang er sich; er wußte, was er vorher im Gespräch formulierte, das verlor ihm den Saft für die spätere Niederschrift.
    Darum also hatte er sich beeilt, von Hause fortzukommen, darum hastete er jetzt in die Redaktion, darum atmete er auf, als endlich Erna Redlich an ihrer Schreibmaschine saß und er ihr diktieren konnte.
    Er lief hin und her, formte seine Sätze, krähend, stieß den knochigen Kopf vor mit den brennenden, tiefliegenden Augen, fuchtelte mit den langen, dürren Armen. Erfüllt von seinem Stoff, hart, grimmig, verteidigte er seinen großen, bewunderten Georg Friedrich Händel, den Demokraten, Kämpfer und Freiheitshelden, gegen die Nazi. Er lachte, während er seine Gedanken so in Worte goß; hell und zornig lachte er über die absurde Idee, welche da den Narren ihr Rassenhaß, ihre nordischeManie gegen die Bibel, eingegeben hatte. In seinem Ohr war noch das Gewetter und Geschmetter jenes nationalsozialistischen Ministers, das er unlängst aus dem Äther gehört hatte, er bewunderte den großen Meister, dessen Werk die Nazi verschimpfierten; Zorn und Bewunderung machten seine Worte beschwingt. Händels Musik, ereiferte er sich, ist eine einzige Kampfansage gegen Ausbeutung und Tyrannei, jeder einzelne Takt eine Verneinung alles dessen, was die Nazi tun und verkünden. Nein, dieser Händel, der aus dem Hofkomponisten zum Musiker des Volkes wurde, dieser große Emigrant, der sich aus einem Deutschen in einen Kosmopoliten wandelte, der gehört zu uns. Den kann man nicht gleichschalten. Seine mannhafte Musik hat nichts gemein mit dem hysterischen Annexionsgeschrei der Völkischen. Die Hörnersoli und Jubelchöre des »Judas Makkabäus« sind nicht zu brauchen für die Schlägereien und Metzeleien der SA-Bataillone, und das Allegro seiner Kampfarien, der knappe, harte Schritt seines Marsches passen zu den wuchtigen Worten der Bibel, aber nicht zu dem hysterischen Geheul von »Mein Kampf«.
    Die Gedankengänge, die Sepp Trautwein in diesem Aufsatz wiedergab, kamen ihm aus dem Herzen, und so ursprünglich sie klangen, derb, wo es am Platz war, und zart, wo es sich ziemte, sie waren durchdacht und harmonisch. Sepp Trautwein war im Innersten bescheiden, er wußte gar nicht, was für gute Arbeit er tat, und als Erna Redlich strahlenden Auges zu ihm aufsah und sagte: »Donnerwetter, das wird aber gut«, war er ganz überrascht.
    Als er zu Ende war, fühlte er sich wie immer nach scharfer Arbeit hungrig. Er forderte Erna auf, ihm Gesellschaft zu leisten, er wolle noch in ein Bistro gehen und was essen. Sein Zögern in jener ersten Nacht, da er nicht mit ihr hinaufgegangen war, hatte auch seine weiteren Beziehungen zu Erna bestimmt. Es war zu einer guten, kameradschaftlichen Vertrautheit zwischen ihnen gekommen, zu nichts weiter. Die Verhältnisse zwangen ihn, mit Anna immer wieder kleine Dinge des Alltags zu besprechen, die ihm lästig waren; mitErna brauchte er nur über das zu reden, was ihm am Herzen lag.
    Die vertrauliche Aussprache, die Anna an diesem Abend so gern mit ihm geführt hätte, er führte sie jetzt mit Erna. Er sprach sich das Herz frei. Gerade dieser Aufsatz über Georg Friedrich Händel hatte ihm wieder brennend zu Bewußtsein gebracht, wie weit er abgetrieben war von seiner wirklichen Heimat, von der Musik. Freiwillig hat er diese seine Heimat verlassen, hat sich selber daraus verbannt. Er ist aber Musiker, Musiker und nochmals Musiker. Nur das kann er, nur das geht ihn an, und was sind das für dreckige Zeiten, die ihn, einen so durch und durch unpolitischen Menschen, in die Politik hineinziehen. Was für ein Saustall. Immer kämpft man für die Späteren, für die Enkel, nie für sich selber; denn der letzte Sinn aller Politik ist doch der, den

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