Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Ende. Der Bursche und das Mädchen kommen zurück, erhitzt. Hanns hat das Gefühl, sie schauten ihn nicht mehr so unfreundlich an. Um sich ein bißchen Haltung zu geben, beginnt er auf der leeren Rückseite der Speisekarte zu zeichnen.
In wenigen Stunden wird also auch er wissen, wie es ist. Man sagt, es ist das Beste im Leben. Er ist dumm genug, daß er achtzehn Jahre alt geworden ist und dieses Beste noch nicht erprobt hat. Ein Stück kommt ihm in den Sinn, das Stück eines deutschen Dichters, das er voll Gier gelesen hat, ein Stück, in welchem ein Junge seines Alters sich erschießt, ohne »es« erprobt zu haben. Er war in Ägypten, heißt es dort, und hat die Pyramiden nicht gesehen.
Heut also wird er die Pyramiden sehen. Heut wird er die Pyramiden besteigen. Heut braucht er nichts weiter zu sagen als »Bonsoir, Germaine«. Germaine mag ihn, Germaine liebt ihn, sie lacht ihn nicht aus, und alles Weitere kommt dann von selber.
Er hat begonnen, das Mädchen, das am Tisch sitzt, zu zeichnen. Sie merkt es, ist neugierig und geschmeichelt. Nein, jetzt ist sie nicht mehr unfreundlich; wenn es darauf ankäme, würde sie sich wahrscheinlich ansprechen lassen, obwohl sie einen Freund mit hat. Erfreulicherweise hat er es nicht notwendig, sie anzusprechen. Germaine wird bald kommen, und Germaine ist viel hübscher.
Hoffentlich hat Gaston recht. Hoffentlich kommt er mit ihr heut wirklich zum Ziel. Nochmals, zum zwanzigstenmal und genau, ruft er sich zurück, was sich zwischen ihm undMadame Chaix – denn in Gedanken nennt er sie manchmal noch Madame Chaix – ereignet hat.
Angefangen hat es vor vierzehn Tagen. Damals hatte Germaine die Mutter ersucht, für ihre Arbeit lieber am späten Nachmittag kommen zu dürfen, und es hat sich so getroffen, daß um diese Zeit er allein zu Hause war. »Störe ich Sie auch nicht, Monsieur Hanns?« hat sie gefragt, als sie das erstemal kam. Sie hat eine hohe, etwas singende Stimme; Sepp würde diese Stimme wahrscheinlich unschön finden, ihm, Hanns, klingt sie angenehm. Und wie komisch sie das »Hanns« ausgesprochen hat: Anns, Anns. Er hat ihr erklärt, wie es richtig auszusprechen ist, und auch, daß er eben simpel Jean heiße, aber sie hat es vorgezogen, ihn weiter Monsieur Anns zu nennen. Es hat sich von selber ergeben, daß er sich nach ihrem Vornamen erkundigte, und von da an ist alles von selber gegangen.
Er sieht sie am Boden knien und den Staub hinter der Truhe vorwischen. Die Mutter behauptet, daß sie das überaus schlampig mache, keineswegs zufriedenstellend, aber vom ästhetischen Standpunkt aus gibt sie ein gutes Bild ab, wie sie so am Boden kauert. Es ist wahrscheinlich nicht ganz fair, eine Frau in dieser Stellung so intensiv anzuschauen, es ist ein bißchen, wie wenn man sie im Bad belauerte. Aber er hat den Blick einfach nicht von dem Mädchen abwenden können. Das heißt, Mädchen. Sie nennt sich Madame Chaix, sie ist eine verheiratete Frau, aber ihr Mann ist ihr weggelaufen, und man braucht sie nur anzuschauen, sie ist eben ein Mädchen. Sie hat für diesen Lumpen von Mann ein paar sehr drastische Bezeichnungen, die er, Hanns, nicht alle verstanden hat, obwohl er schon eine ganze Menge Argot-Ausdrücke kennt. Jedenfalls lebt Madame Chaix allein, sie ist frei, sie ist nicht vergeben, und sie ist ein großartiges Mädchen, das muß man ihr lassen, sie kann einem heiß machen. Sie hat eine sehr weiße Haut und herrliches, rotblondes, wuscheliges Haar. Die Mutter sagt, sie sehe immer unordentlich aus, und es sei eine Schweinerei, wie ihre Haare überall herumführen. Aberes sind schöne Haare, sie stehen gut zu ihrer weißen Haut. Und einen großartigen Busen hat sie, zart und ganz blaß, der oberste Knopf ihrer Bluse war auf, er hat gut hineinschauen können, er weiß nicht, ob sie es gemerkt hat.
Jetzt also, binnen kürzester Zeit, wird er diesen Busen anlangen dürfen. Und das ist gut. In diesen letzten Nächten war es schlimm. Es waren unangenehme Nächte, gierig, voll Kitzel, und am Morgen wacht man müder auf, als man sich hingelegt hat. Es ist nicht das Richtige, wenn man es loszuwerden versucht ohne Mädchen. Schädlich ist es auch, und hernach hat man das Gefühl, man sei am ganzen Körper schmutzig. Mit seinen französischen Kameraden hat er sich darüber nicht recht aussprechen können; mit deutschen wäre es gegangen.
Die beiden von seinem Tisch tanzen wieder. Die Luft ist rauchig, die Musik, das merkt sogar er, laut und schlecht. Neun Uhr
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