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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Statuen erläutern. Hanns wird in den Saal geschwemmt, wo das große Friesplattenstück vom Parthenon aufgestellt ist. Er kennt die Reliefs; aber er ist heute nicht in der rechten Form, unbewegt steht er vor dem Kunstwerk.
    Er treibt sich weiter herum, nicht sehr beteiligt. Er steht vor nackten Göttinnen, seine Gedanken, gegen seinen Willen, kehren zurück zu Germaine.
    Dann steht er vor der Treppe, welche gekrönt wird von der Nike von Samothrake. Und auf einmal ist seine Dumpfheit fort. Oben, inmitten eines Lichtkegels, auf dem Vorderteil ihres Schiffes, steht sie, die Siegesgöttin, sie steht nicht, sie schreitet, sie schreitet nicht, sie stürmt ihm entgegen. Der Kopf, die Arme fehlen ihr: aber wo in der Welt gibt es ein Zweites, das kühnes Vorstürmen so gemeinverständlich ausdrückte wie diese verstümmelte Figur? Sie trägt ein vielfaltiges, massiges Gewand, der Wind bauscht es und drückt es ihr an den Körper, und es ist nicht mehr massig. Sie hat Flügel, dennoch ist sie kein Fabelwesen, etwas sehr Menschliches ist um sie herum, sie ist von dieser, unserer Welt, eine ungeheure Zuversicht geht von ihr aus und füllt einen an und hebt einen hoch.
    Hanns Trautwein kennt das Bildwerk gut, er ist mehrmals davorgestanden, aber heute zum erstenmal sieht er es. Kommt er von einem mißglückten Rendezvous? Waren eben erst Gedanken an Madame Chaix in ihm? Jetzt ist alles versunken, versunken auch die Menschen rings um ihn, er steht vor dem Bildwerk, verzaubert. Man kann diese vorstürmende Frau nicht anschauen, ohne daß alles Trübe von einem abfällt. Langsam weitet ihm eine große Freude die Brust. So war ihm, wenn er auf seinem Segelboot dahinflog, auf dem Ammersee, vor dem Wind. Zuversicht füllt ihn, die Gewißheit seiner neuen Welt.
    Lange steht er vor dem Bildwerk, so lange, daß schon dieWächter und andere Besucher aufmerksam werden. Endlich, zögernd, macht er kehrt. Er verläßt das Museum. Dieser »Sieg« gehört jetzt ihm, niemand mehr kann ihn ihm entreißen.
6
Ein Brief aus dem Gefängnis
    Herrn von Gehrkes Laune war nicht mehr so strahlend wie noch vor kurzem. Das Schicksal hatte ihm eine Warnung zukommen lassen, und er fühlte sich trotz seiner tadellos funktionierenden neuen Zähne nicht mehr jung genug, diese Warnung in den Wind zu schlagen.
    Der Bär war unvermutet erkrankt, und zwei Tage lang hatte es so ausgesehen, als ob er nicht davonkommen werde. Während dieser zwei Tage hatte Spitzi zu spüren bekommen, selbst der sonst so höfliche Botschafter hatte es ihn spüren lassen, auf wie unsicherem Grund er stand. Wenn der Bär daran glauben mußte, dann war es auch um ihn selber getan. Der Bär hatte nicht daran glauben müssen, und Spitzi war einiges Auf und Ab gewöhnt. Dennoch glitt er über diese Warnung nicht mit dem ihm eigenen Leichtsinn weg; man war alt genug, man wünschte Sicherheit.
    Zu dumm, daß er die Möglichkeiten nicht ausgenutzt hatte, welche die Ankunft Heydebreggs ihm geboten. Als Vertrauensmann für Heydebregg war vor allen andern er in Frage gekommen. Aus purer Bequemlichkeit, aus Phlegma hatte er Wiesener das Feld überlassen.
    War es endgültig zu spät? Der Zwischenfall mit dem Artikel der »P. N.« gab Spitzi eine neue Chance. Spitzi gönnte Wiesener alles Gute. Er gönnte ihm seine erfreulichen Beziehungen zu Lea de Chassefierre, und er gönnte, selber ohne Ambition, dem ehrgeizigen Mann seine Stellung und seinen wachsenden Einfluß. Aber den Platz bei Heydebregg brauchte nun einmal er, da mußte Wiesener weg, und so traf es sich gut, daß das»P. N.«-Gesindel gerade jetzt die Sünden Wieseners gegen die Reinheit des deutschen Blutes anprangerte.
    Spitzi machte sich also von neuem an Heydebregg heran. Wenn Heydebregg Wiesener auch politisch deckte, als Privatmann hielt er sich seit dem Artikel von ihm fern, und Spitzi mühte sich, den frei gewordenen Raum zu erobern. Er spielte seine Jungenshaftigkeit aus. Freimütig bekannte er, wie dankbar er Heydebregg sei, daß der ihm das nicht vorwerfe, was er durch sein Ungeschick im Fall Benjamin versiebt habe. In stürmischen Worten bereute er, durch seine Tollkühnheit der Partei diese lästige Affäre aufgehalst zu haben.
    Heydebregg hörte gut zu, und wie es schien, nicht ohne Wohlgefallen. Er hatte hier in Paris vielerlei Wichtiges zu erledigen. Er war natürlich nicht nur hergekommen, um den Fall Benjamin zu liquidieren und die »P. N.« unschädlich zu machen, sosehr gerade diese beiden Ziele ihn reizten. Er hatte

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