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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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wurde er der Sachlichkeit müde, schlug einen persönlicheren Ton an, wurde der alte, frivole Spitzi. »›Dulde, gedulde dich fein‹, so haben wir’s freilich in der Schule gelernt«, lächelte er leichtfertig. »Aber der Vers stammt von einem halbjüdischen Schriftsteller, er ist überholt. Ich glaube, es ist nicht mehr angebracht, ihn zu beherzigen.«
    Seltsamerweise war es dieser etwas alberne Scherz, der Spitzis klug ersonnenen Feldzugsplan zu Fall brachte und Wieseners Sieg endgültig entschied. Heydebregg nämlich hatte bisher geschwankt. Er hatte zugehört, die faltigen Lider über die Augen gezogen, ohne einzugreifen. Obwohl die Bedenken Gehrkes ihm Eindruck machten, hatte er sich weder für ein Ja noch für ein Nein entschieden. Jetzt zerstörte Spitzis leichtfertiges Getändel die Wirkung seiner Einwände. Heydebregg entschied sich für Wiesener.
    Noch viel mehr aber empörte Spitzis wohlfeile und törichte Ironie Wiesener selber. Der hatte bisher in der Gegnerschaft des andern nichts gesehen als legitime Rivalität. Spitzi wollte sich den Platz an der Sonne Heydebreggs zurückerobern, das war in Ordnung, er selber hätte es nicht anders gemacht. Aber daß der Bursche sein mit soviel Salz und Mühe ausgearbeitetes Projekt mit einem dummen Witz abtun wollte, das war der alberne Dünkel des Aristokraten, und dagegen, aus dem Gefühl seiner armen Geburt heraus, begehrte Wiesener auf. Was jetzt in ihm aufsprang, war Haß über jede Nebenbuhlerschaft hinaus, ein Haß, der sich auf alles erstreckte, was der andere sagte, tat, war.
    Vorläufig ließ er davon nichts merken. Er begnügte sich zu erwidern, er glaube nicht, daß das langsamere Tempo seines Projekts gegen dessen nationalsozialistischen Geist spreche. Nicht das Tempo der Entwicklung, zitierte er den Führer, sondern die Zähigkeit in der unerbittlichen Verfolgung des einmal als richtig erkannten Zieles sei entscheidend.
    Es gab nichts mehr zu sagen. »Ich danke Ihnen, meine Herren«, beendete Heydebregg die Diskussion. »Ich habe mich entschlossen, das Projekt des Parteigenossen Wiesener auszuführen. Ich bevollmächtige Sie, Parteigenosse Wiesener, alles zu veranlassen, was Sie für nötig erachten. Sie, lieber von Gehrke, werden Wiesener behilflich sein.«
    Beide Herren verbeugten sich. Spitzi reichte mit einer netten, jungenshaften Geste Wiesener die Hand. »Ich freue mich herzlich«, sagte er mit Wärme, »daß Sie Gelegenheit haben, ein so schönes Projekt auszuführen. Ich hoffe, daß ich Ihnen wirksame Hilfsmittel zur Verfügung stellen kann.« Im stillen anerkannte Wiesener, was für ein vortrefflicher Verlierer Spitzi war.
    Er hatte sich getäuscht. Spitzi konnte es sich nicht versagen, ihm noch einen Stich zu versetzen. Als er vor kurzem Wiesener im Falle Benjamin kränkender Leichtgläubigkeit geziehen hatte, schien Heydebregg nicht recht überzeugt. Einen Vorteil wenigstens konnte er aus dem heutigen Zusammentreffen herausschlagen: er konnte dem Parteigenossen beweisen, daß er damals Wiesener nicht ins Leere hinein verdächtigt hatte. »Übrigens, lieber Wiesener«, sagte er und ging so weit, ihm den Arm leicht um die Schulter zu legen, »habe ich noch eine erfreuliche Nachricht für Sie. Ich habe Ihnen gleich gesagt, Sie machen sich unnütze Sorgen über das Wohlergehen Ihres Fritzchen Benjamin. Jetzt kann Ihnen das die zuständige Stelle bestätigen. Bitte, beruhigen Sie ihn, Parteigenosse Heydebregg. Sagen Sie ihm, daß man das Wänzchen nicht zertreten hat, daß das Wänzchen munter und wohlauf ist. Denken Sie, mon vieux, Ihr Friedrich Benjamin hat sich sogar hier in Paris gemeldet. Er hat seiner Frau einen eigenhändigen, unzweifelhaft echten Brief geschrieben. Das ganze Emigrantenpack steht kopf. Die Humanität hat gesiegt. Ist der buddhistische Teil Ihrer indogermanischen Seele befriedigt?«
    Nach dem Jubel, mit dem seine glanzvolle Rehabilitierung Wiesener erfüllt hatte, traf ihn der Coup, den Spitzi so tückisch gegen ihn landete, um so unerwarteter. Es kostete ihnSelbstüberwindung, den Arm nicht abzuschütteln, den der andere noch immer um seine Schulter gelegt hielt. Mühsam fand er ein paar halb scherzhafte Sätze, seine Zweifel, seine Ungläubigkeit zu entschuldigen. Es waren lahme Sätze, das sagte er sich selber; er konnte, während er sie vorbrachte, Heydebregg nicht recht in das starre Gesicht schauen, und überstürzt verabschiedete er sich.
7
Kabale und Liebe
    Er fuhr nach Haus, er war ein guter Fahrer, mechanisch

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