Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
gut, zu wissen, daß er in der Welt war. Ilse in ihrer Schwäche und inmitten ihrer Zweifel spürte tiefe Genugtuung. Sie liebte ihn sehr, sie dachte überhaupt nicht an sich in diesem ersten Moment, oder doch nur sehr wenig, sie hatte das Gefühl, von nun an müsse man noch mehr tun als bisher, und es sei ein gutes Zeichen, daß die Nazi ihm Schreiberlaubnis gaben, und sicherlich werde alles gut ausgehen.
Sie spürte, wie allein sie die ganze Zeit gewesen war. Es hatte natürlich etwas für sich gehabt, nur auf sich selber gestellt zusein und Verantwortung und Verpflichtung nicht gegen einen wirklichen Menschen zu haben, sondern gegen ein Etwas, von dem man nicht wußte, ob es noch existiere. Aber es war doch viel besser, zu wissen, daß der Mensch, der einzige, zu dem man gehörte, noch da war. Sie muß sich nur erst wieder an diese neue Lage gewöhnen. Aber einen ganz andern Auftrieb hat sie jetzt, und es müßte mit dem Teufel zugehn, wenn sie ihr Fritzchen nicht vollends herausholen sollte.
An diesem Punkt angelangt, wurde sie immer froher. Ihre rasche Phantasie verwandelte Fritzchens Brief schon in die Ankündigung, er werde demnächst in Paris eintreffen. Hätten die Nazibehörden, wenn sie nicht ihre endgültige Niederlage voraussähen, ihm so plötzlich diese Vergünstigung gewährt? Mehr und mehr leuchtete Ilse auf. Sie hob den Hörer, um ihren Freunden, Edith als erster, die frohe Botschaft zu übermitteln. Doch gleich legte sie das Rohr wieder zurück. Zuerst wollte sie sich einmal wieder ordentlich zurechtmachen. Das tat sie, sorgfältig, mit Lust. Dann läutete sie ringsum an, strahlend, wichtig, und verbreitete die glückliche Nachricht.
Spitzi saß über einem Aktenstück, überlas es, verglich Punkt für Punkt. Arbeitete wie seit Jahren nicht mehr. Das Aktenstück war Wieseners Memorandum über die Unschädlichmachung der »P. N.«. Heydebregg hatte es Spitzi übersandt, »zur Begutachtung«.
Was Wiesener da zusammengebraut hatte, war verflucht geschickt. Begabt war der Bursche, ein guter Kombinator, und der Haß gegen die »P. N.« hatte ihn noch erfinderischer gemacht. Er, Spitzi, war ein Idiot gewesen, daß er dem andern so reichliches Material über Gingold und Genossen hatte zukommen lassen. Aber was Wiesener aus dem Material herausgeholt hatte, das war allerhand; Spitzi war voll fachmännischer Anerkennung. Wiesener hatte das ursprüngliche Ziel, die »P. N.« zum Schweigen zu bringen, weit hinter sich gelassen. Sein Projekt ging dahin, die »P. N.« in die Hand zu bekommen und sie, als Kampforgan gegen die Nazi getarnt,weiterzuführen; es sollten aber nur so geringfügige Mißstände des Regimes angegriffen werden, daß die Leser gegen ihren Willen zu dem Schluß kommen mußten, im Dritten Reich stehe alles ausgezeichnet und nur Böswillige oder prinzipielle Mäkler könnten gegen so winzige Mängel so grobes Geschütz auffahren. Wiesener hatte sich nicht auf Allgemeines beschränkt, er hatte den Plan bis ins kleinste ausgearbeitet. Er hatte Methoden angegeben, den Verleger Gingold gefügig zu machen, er hatte Kostenberechnungen aufgestellt und Richtlinien entworfen, wie man dem Blatt, habe man es erst einmal in der Hand, erfolgreich den Charakter eines Oppositionsorgans geben und es dennoch für die Propagandazwecke der Partei nützen könne.
Wäre nicht die Erkrankung des Bären, dieser Wink des Schicksals, dazwischengekommen, dann hätte Spitzi sich begnügt, Wieseners Memorandum zu überfliegen und ausgezeichnet zu finden. Jetzt suchte er nach dem schwachen Punkt. Er fand ihn. Das Projekt, das der Parteigenosse Wiesener ausgeheckt hatte, war ein Triumph nordischer List, doch die Ausführung erforderte außerordentlich viel Zeit. Wollte man, konnte man diese Zeit aufbringen? Wenn man sich darauf beschränkte, die »P. N.« lahmzulegen, war man in wenigen Wochen am Ziel. Wieseners Projekt erforderte Monate. Hier war Wieseners Achillesferse.
Heydebregg hatte beide Herren, Wiesener und Gehrke, zu sich gebeten, er wünschte eine Aussprache zu dreien. Als sich Spitzi im Hotel Watteau einfand, sah er sogleich, daß Wiesener den Schock wegen jenes Artikels offenbar überwunden hatte und seiner Sache sicher war.
So war es auch. Die Ausarbeitung des Memorandums hatte Wiesener tiefe Befriedigung verschafft. Die Vorstellung, wie man den Heilbrun und Trautwein die Stühle sacht unterm Hintern wegziehen wird, daß sie selber es kaum merken, bis sie schließlich verblüfft auf der Erde sitzen,
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