Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
eine solche Dummheit zutraute. Daß Wiesener ihm eine solche Dummheit zugetraut hatte, mußte also Wieseners Stellung noch weiter erschüttern.
Blieb nur die Frage, wieweit Heydebregg Spitzi glaubte. Seinen stumpfen Augen war nichts abzulesen. Seiner ganzen Haltung nicht. »Ich danke Ihnen«, war alles, was er Spitzi erwiderte. »Ich werde das Gerücht stoppen.«
Das tat er.
Ilse Benjamin fuhr nach Hause, bescheiden, in der Metro. Sie pflegte jetzt zu sparen, sie mußte jeden entbehrlichen Centime für ihre Sache aufwenden.
Sie trug sich schlicht jetzt, unauffällig, ihre kecken, modischen Tiroler Hüte blieben im Schrank. Sie war nicht mehr die alte Ilse, es war nichts mehr da von dem preziösen Gehabe der »sächsischen Lady«.
Sie kam vom Roten Kreuz. Sie schickte Fritzchen Woche um Woche durch Vermittlung des Roten Kreuzes einen Brief; ob freilich diese Briefe den Adressaten erreichten, wußte niemand.
Auch Fritzchens Bild hatte sich ihr sehr verändert. Er war ihr zu einem Mann geworden, zu dem sie zeitlebens demütig aufgeschaut hatte; in guten Stunden hatte sie ihm Inspiration geben dürfen. So stand jetzt sein Schatten, eine dunkle Folie, groß und bedeutend hinter ihr und ließ ihre zierliche, zärtliche Person um so hübscher hervortreten. Dumm war sie nie gewesen, die eigene Leere hatte sie immer gespürt, und wenn sie die Männer verlacht hatte, die ihr »Seele« hatten geben wollen, so war sie jetzt dem Schicksal dankbar, daß es ihr Inhalt gewissermaßen aufgezwungen hatte. Sie stand jetzt im Dienst einer großen Idee, sie kämpfte für Friedrich Benjamin und die Gerechtigkeit, sie war die Madame Legros der Emigration. Sie beriet mit Anwälten, erlernte fachtechnische Ausdrücke, warf damit herum. Und wie sie früher ihr Gesicht mit Farben und Lippenstift geschminkt hatte, stattete sie jetzt ihr Gespräch mit völkerrechtlichen, strafrechtlichen, zivilrechtlichen Wörtern und Begriffen aus.
Da saß sie also in der Metro, schmal, hübsch, hilflos, rührend, und selbst ihre Feinde mußten zugeben, daß diese ihre neue Einfachheit zum großen Teil echt sei.
Sie stieg aus, sie ging ins Hotel Atlantic. Der Concierge übergab ihr mit ihrem Schlüssel ihre Post. Im Lift beschaute sie die Briefe: einer hatte eine deutsche Marke, die Adresse zeigte die Schrift Fritzchens. Noch im Lift machte sie ihn auf. Er öffnete sich schlecht, ungeschickt zipfelte und riß sie am Umschlag und riß schließlich sogar den inliegenden Brief ein.
Mit gierigen Augen, den Mund halb offen, überflog sie ihn. Sie sah den ganzen Brief, das Bild der Schriftzeichen und Zeilen mit Anrede und Unterschrift auf einmal, und erfaßte und spürte gleichzeitig den Inhalt. In einer Sekunde wog sie die Worte ab und wußte bereits, warum sie so gesetzt waren und nicht anders und was das Ganze und was jedes einzelne Wort bedeutete.
Es stand nicht viel in dem Brief. Fritzchen bestätigte, zwei ihrer Schreiben erhalten zu haben. Er erklärte, er sei gesund, er könne, wenn nichts dazwischenkomme, jeden Monat einen Brief absenden und einen erhalten, er werde gut verpflegt. Datiert war der Brief von vor vier Tagen, Ort war keiner angegeben, abgestempelt war er in Berlin.
Ilse zitterte an allen Gliedern. Schweiß war ihr ausgebrochen, die Knie waren ihr weich. Sie wußte nicht, wie sie in ihr Zimmer gelangt war. Sie saß auf ihrem Bett und beschaute den Brief. Sie glättete den Umschlag und die eingerissenen Stellen, mechanisch, und oft und abermals las sie den Brief, obwohl sie ihn längst auswendig konnte und genau wußte, wo jedes Schriftzeichen stand und wie es gemacht war, jedes Komma und jeder Punkt. Sie schaute hinüber zu Fritzchens Bild und schaute wieder auf den Brief und wieder auf das Bild. Sie stand auf, sie ging hin und her, sie fühlte sich sehr schwach, aber sie mußte doch hin und her gehen. Dabei hielt sie den Brief immer in der Hand, sie konnte ihn nicht loslassen. Ihr war, als verlöre sie ihn, wenn sie ihn losließe, und nicht nur den Brief, sondern das ganze Fritzchen.
Was war jetzt? War etwas geändert? Alles war geändert. Bis heute war um sie herum und um den Mann in Deutschland schauerliches Zwielicht gewesen. An ihn zu denken als einen Toten, Verlorenen, war gräßlich, schmerzhaft und bei alledem ein bißchen süß gewesen. Nun war auf einmal grelles Licht da, die ganze Sache war nüchterner; es war sicher besser, wie es jetzt war, auf alle Fälle war er lebendig. Aber dieses neue Licht tat weh. Dennoch war es
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