Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
sich Ilse entschlossen, den Genuß des Höhepunkts durch längere Vorfreude zu steigern, und so ließ sie Janosch, nachdem er sie in den Morgenstunden nach Hause gefahren, endgültig stehen.
Sie schlief lang und gut in den andern Tag hinein. Um halb ein Uhr – sie hatte generelle Weisung gegeben, sie nie vor dieser Zeit zu wecken – brachte man ihr die Post und die Sendungen, die für sie abgegeben waren, darunter ein Telegramm ihres Mannes: »alles in ordnung komme montag zurück fritzchen.« Sie dehnte sich, lobte sich, daß sie Janosch hatte stehenlassen, dachte nicht ohne Zärtlichkeit an Fritzchen. Dann stieg sie ins Bad und freute sich ihrer zarten, rosigweißen Haut und ihres Lebens.
Sie verbrachte einen faulen Tag, ging mit ihrer Freundin Edith Einkäufe machen, führte viele Telefongespräche, spielte eine Stunde Bridge und gewann achtzehn Franken, schaute die Korrespondenz ihres Mannes durch, verstand sie halb und fand nichts Wichtiges, das sie ihm hätte mitteilen müssen, freute und ärgerte sich, daß Fritzchen nicht da war, freute und ärgerte sich, daß sie infolge ihres Verbots keinen Anruf von ihm erwarten konnte, tiefschwatzte eine halbe Stunde lang mit dem jungen, ziemlich ungepflegten, emigrierten Philosophen Halpern, nahm mit Vergnügen wahr, wie er sich vor Begier auf sie rötete und zu schüchtern war, mehr als ein ungeschicktes Gymnasiastenkompliment zu stammeln, zwang den eleganten Graf Bonnini, sich mit ihr eine gerühmte, experimentelle Shakespeare-Aufführung anzuschauen, begriff wenig, schimpfte maßlos, wie veraltet Shakespeare sei und wieschlecht die Aufführung, und verließ das Theater, zur großen Genugtuung des Grafen, schon nach dem ersten Akt, um mit ihm bei Maxims zu essen. Während des Essens telefonierte sie mit Janosch und traf ihn, nachdem sie sich nach Mitternacht von Bonnini hatte nach Hause bringen lassen, gegen ein Uhr bei Florence. Auch in dieser Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag gelangte Janosch nicht ans Ziel.
Es waren jetzt noch knapp vier Tage, die sie ohne Fritzchen verbringen mußte, ohne Fritzchen verbringen durfte. An diesem Donnerstag fiel ihr ein Artikel Fritzchens in die Hand in einer angesehenen englischen Zeitschrift. Sie las ihn und fand ihn großartig. Von je hatte sie Fritzchen für den gescheitesten Mann gehalten, den sie kannte, den kritischsten Kopf. Er war der praeceptor Germaniae, der die Noten auszuteilen hatte, wer gut war und wer schlecht, der geistige Diktator der Deutschen: sie aber diktierte ihm. Das war amüsant, und sie war stolz, daß sie ihn geheiratet hatte. Andernteils verdroß es sie, daß er nicht den Mut aufbrachte, ihr gegen ihr Verbot zu telefonieren, und sie fand sich gerechtfertigt, wenn sie nun ihrerseits ein neues Rendezvous mit Janosch vereinbarte.
Sie hängte den Hörer ein und schaute, von ihrem Bett aus, hinüber zum Schreibtisch, wo Fritzchens Bild stand. Sie war zufrieden mit sich, daß sie das Bild Tag und Nacht dort stehen hatte. Fritzchen hatte reizvolle Augen. Manchmal hatte er einen treuen Hundeblick, manchmal schaute er wild verzweifelt, aber es waren geniale Augen. Niemand begriff, warum sie, die Tochter reicher, angesehener, »arischer« Eltern, den unscheinbaren, jüdischen Journalisten geheiratet hatte, der bei all seiner Brillanz recht anrüchig war. Sie wußte gut, warum, nur selten begriff sie es selber nicht, und auch dann spürte sie Hochachtung vor sich, daß sie es getan hatte.
Wenn sie an die Zeit bei ihren Eltern zurückdenkt, dann sind diese Pariser Jahre trotz ihrer kleinen Sorgen noch immer ein erfüllter Wunschtraum. Sie wurde, seinerzeit, von ihren reichen Eltern verwöhnt, konnte haben, was sie wollte, flirtete, ritt, chauffierte, spielte Tennis, plapperte französisch, englisch,italienisch, reiste, hörte ausgefallene Vorlesungen. Aber was für bürgerlich stickige Luft hatte bei dem allen dieses Kaufmannshaus angefüllt, wie kontrolliert war sie gewesen, von wie vielen Konventionen umgeben, von wie vielen Vorurteilen. Aus purer Opposition mußte man in einem solchen Hause highbrow werden; schon der Widerspruchsgeist, der jedem halbwegs persönlichen Menschen eingeboren ist, mußte es einem als höchstes Ziel erscheinen lassen, den Bürger zu verblüffen. Der Tag, an dem sie sich entschlossen, Benjamins Frau zu werden, war ein großer Tag gewesen, der größte ihres Lebens; niemals sonst war sie sich so geistig vorgekommen, so vorurteilsfrei, vornehm, originell.
Noch heute kostete sie den
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