Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Vorgang aus, der sie veranlaßt hatte, ihn zu heiraten. Die Sentimentalität und Zähigkeit, mit welcher dieser Mensch mit dem anziehend häßlichen Gesicht sie belagert hatte, seine zynischen, leidenschaftlichen, maßlosen Schmeicheleien hatten auf sie, die Zwanzigjährige, Eindruck gemacht, und sie hatte bald beschlossen, mit ihm zu schlafen. Da aber, als sie das erstemal in seine Wohnung kam, hatte sich der »Vorgang« ereignet. Es war eine sonderbare Wohnung gewesen, gemischt aus Dürftigkeit und ungeschickt arrangiertem Prunk, neben einem mehr als armseligen Badezimmer stand unter einer geschmacklosen Ampel ein üppiges Bett, sie hatte geduldet, daß Friedrich Benjamin sie halb auszog, und wartete nun gierig, höchst willig auf das, was kommen werde. Er aber hatte mit einemmal brüsk, unvermutet von ihr abgelassen. Seine Passion, hatte er ihr erklärt, sei stark und ehrlich, sie aber scheine nur Appetit darauf zu haben, ein- oder zweimal mit ihm zu schlafen. Er fürchte, er dürfe bei ihr auf nichts weiter rechnen als auf Lust und Neugier; das aber habe er oft genug gehabt, das reize ihn nicht mehr. Dieses Argument hatte Eindruck auf sie gemacht, der ganze, freche Mensch hatte Eindruck auf sie gemacht, er imponierte ihr noch heute. Sie hielt es heute noch für die beste, klügste Tat ihres Lebens, daß sie die maßlose Dummheit begangen hatte, ihn zu heiraten.
Ilse Benjamin, von ihrem Bett aus, beschaute Fritzchens Bild. Er hatte Seele genug für sie beide, das sah man an seinen Augen. Lächelnd dachte sie an die vielen, ernsthaften, begabten Männer, die ihr ihren Betrieb vorwarfen, ihre innere Leerheit, und ihr eine Seele verschaffen wollten, natürlich zum Entgelt für ihren Körper. Sie hat Seele genug gezeigt, ein für allemal, damals, als sie ihn heiratete; sie fühlt sich recht zufrieden inmitten ihrer Leerheit und ihres Betriebs.
Sie lächelte tiefer, stippte das süße Kuchenhörnchen in ihre Schokolade, aß mit Vergnügen. Spitzbübisch vergnügt, sehr mit sich einverstanden, dachte sie an jene Überraschung, die sie bald nach ihrer Heirat erlebt hatte. Zwei Monate nämlich, nachdem ihre Eltern sich entschlossen hatten, ihr Verzeihung zu gewähren und eine monatliche Rente, hatte sich herausgestellt, daß das Vermögen dieser Eltern vertan war, und plötzlich hatte sich, da Fritzchen nicht schlecht verdiente, ihr Idealismus auch als gutes Geschäft erwiesen.
Ja, sie war zufrieden mit sich, mit Fritzchen und mit der Welt. Schön, in Berlin ist es üppiger zugegangen als in Paris, sie hat es dort leichter gehabt. Dafür aber schafft ihr Paris mehr innere Genugtuung. Hier in Paris zu leben, als Emigrant, das ist etwas, das hebt einen aus der Menge heraus. Wenn Friedrich Benjamin schon in Berlin eine umstrittene Persönlichkeit war, etwas Besonderes, so ist er’s jetzt doppelt, und sie mit ihm.
Gott, schon halb zwei. Sie muß aufstehen, sonst kommt sie zu spät zur Anprobe. Das Abendkleid, das sie sich bei der Suzanne machen läßt, wird sie morgen anläßlich der Marlene-Dietrich-Premiere einweihen. Sie hat für heute Bescheid versprochen, ob sie auch das Komplet in Auftrag geben wird. Sie braucht es nicht, aber es ist so hübsch. Ob sie es bestellen soll? Ärgerlich, daß man sich so was überlegen muß. Man bekommt doch allmählich zu spüren, daß das »Besondere« des Exils bezahlt sein will. Die komfortable Berliner Wohnung, die amüsante Gastlichkeit, die sie dort hat entfalten können, der hübsche Wagen, das Reitpferd, alles ist jetzt hinuntergeschwommen.Aber gerade diese Opfer, ihrer Geistigkeit gebracht, gerade die Tatsache, daß sie auch in der Not an ihrem lieben, häßlichen Juden festhält, zeigen jedermann und bringen ihr selber zu Bewußtsein, daß sie Persönlichkeit besitzt, was bekanntlich höchstes Glück der Erdenkinder ist. Auch kann sie jetzt, und sie lächelt, die Opfer, die sie Fritzchen bringt, mit um so besserem Gewissen dadurch kompensieren, daß sie sich noch mehr Freiheiten herausnimmt.
Soll sie sich das Komplet bestellen? Sie kümmert sich nicht um Fritzchens Gelddinge, aber so viel weiß sie, daß er eine Möglichkeit hätte, für seine Zeitschrift Geld zu kriegen. »Die Plattform« ist eine ideale Sache, vielleicht würde sie ein bißchen weniger ideal, wenn Fritzchen das Geld nähme. Daß er es nicht nimmt, darum verachtet sie ihn, und darum imponiert er ihr um so mehr. Sie wird das Komplet bestellen. Der Suzanne kann sie schuldig bleiben, solange sie will, und
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