Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
wenigen willkommen. Immer noch saß er gerne mit Tschernigg zusammen, und oft gesellte sich der alte Ringseis den beiden zu. Tscherniggs Wandlung wurde nun auch äußerlich sichtbar, und während Ringseis und Trautwein mehr und mehr verwahrlosten, war auf seiner Haut und seinen Kleidern weniger Dreck und Speck, und sein schwammiges, fahles Gesicht nahm Farbe an. Natürlich gab er noch oft freche und großartige Aphorismen zum besten, und sein anarchischer, zigeunerhaft überheblicher Nihilismus brach immer wieder durch. Trotzdem normalisierte er sich unverkennbar; Alltag und Beruf waren ihm nichts Nebensächliches mehr.
Einmal, als man wieder davon sprach, warum wohl Harry Meisel den Plan gefaßt hatte, nach Amerika zu übersiedeln, erinnerte Tschernigg daran, daß Harry gelegentlich eine Parallele zwischen sich und Rimbaud gezogen hatte. Da ging Sepp mit einemmal auf, daß Tschernigg, vielleicht ohne es selber recht zu wissen, im Begriff war, diesen Rimbaud-Plan Harry Meisels durchzuführen. Ja, Oskar Tschernigg baute sich um, er kehrte zögernd, doch immer entschiedener aus seinem schönen anarchischen Traumland zurück in die ordinäre bürgerliche Wirklichkeit.
Übrigens nahm seine Streitsucht mit seiner Verwandlung nicht ab. Am heftigsten lohte sie auf, wenn es um die Veröffentlichung von Harrys literarischem Nachlaß ging. Sepp Trautwein hatte seinerzeit Mühen und Verdruß auf sich nehmen müssen, um die Drucklegung der ersten Novellen Harry Meisels durchzusetzen. Jetzt, nach dem Brief Tüverlins, hielt es nicht mehr schwer, Harry Meisel zu publizieren. Aber Tschernigg tat, als wäre er allein der rechte Mann für diese Publikation. Er warf sich mit dem ganzen Ästhetizismus seiner früheren Zeit auf die Aufgabe, das Werk des Toten in möglichst überfeilter Form zu edieren. Stundenlang saß er über einem Wort, von dem nicht mit Sicherheit zu ermitteln war, ob es der Autor gestrichen hätte oder nicht, und jedes Komma wurde ihm zum Problem. Während Sepp Harrys Hinterlassenschaft anspruchslos und schnell gedruckt haben wollte, ging Tschernigg priesterlich und zeremoniös an die Herausgabe und wollte noch mindestens ein Jahr für eine würdige Vorbereitung haben. Wenn dann Trautwein ungeduldig wurde, warf Tschernigg um sich mit Fachausdrücken, die er sich in seinem französischen Verlag zugelegt hatte, und spielte sich als Spezialist für Verlagsdinge auf.
Um diese Zeit tauchte in Paris Harry Meisels Vater auf, Herr Leopold Meisel. Der glatte, betuliche Herr stellte sich im Hotel Aranjuez ein, elegant, doch etwas unbehaglich saß er in Sepp Trautweins neu überzogenem Wachstuchsessel. Er hielt sich offenbar für wagemutig, weil er einen Emigranten aufgesucht hatte, und fühlte sich in dessen unordentlicher Welt nicht wohl. Er war ein geschmeidiger Mann, gepflegt, doch verfettet. Er wirkte wie eine Karikatur Harry Meisels; was an Harry genial gewesen, war an ihm schlau, was jenen schön und prinzlich gemacht hatte, erschien an ihm geckenhaft und eitel. Ob Harry, wenn er seinen Rimbaud-Traum durchgeführt hätte, geworden wäre wie dieser?
Was Herr Leopold Meisel bei Sepp suchte, war nicht recht klar. Er erging sich in überschwenglichen Dankesworten für die Herren Trautwein und Tschernigg, die letzten Freunde seinesunglücklichen Sohnes. Er wußte um den Brief Tüverlins und war darüber unterrichtet, daß sein unseliger Junge ein Genie gewesen war. Nach seiner Darstellung hatte sich Harry nicht halten und zähmen können; war es nicht andern Genies auch so gegangen? Er, der arme Vater, hatte den Jungen auch nicht halten können, auch die Freunde nicht, so war ihm sein Leben zerronnen. Es war ein Glück, daß ihm nicht auch sein Dichten zerronnen war. Ja, Herr Leopold Meisel war selig, daß der Nachlaß seines Sohnes einen großen geistigen Wert darstellte und daß Tüverlins Zeugnis dies vor aller Welt bekundete. Er war auch sicher, daß Harrys Nachlaß in den Händen der Herren Tschernigg und Trautwein gut aufgehoben war, und er dankte den beiden für ihre freundschaftliche Mühe. Aber wenn irgend möglich, wollte doch auch er selber, der Vater, dazu beitragen, diesen Nachlaß den Späteren rein und unversehrt zu erhalten. Darum war er nach Paris gekommen.
Dies setzte Leopold Meisel Sepp Trautwein mit geschmeidigen Worten auseinander, immer von neuem seine Hilfe anbietend. Der schwerfällige Sepp begriff nicht, worauf der Mann hinauswollte. Er dankte, ein bißchen erstaunt, für seine
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