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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Kontakt zwischen sich und dem Auditorium, er fand die Worte, auf die es ankam, er war aufrichtig, ursprünglich.
    Anna liebte ihn sehr, wie er da oben stand und redete, jung, wahr, glühend. Sein knochiges Gesicht mit der guten, breitenStirn und den tiefliegenden, jünglingshaft begeisterten Augen war schön, es war lebendig und bedeutend. Anna sah nicht mehr den schäbigen Anzug, den er doch nicht hätte tragen sollen; der Mann, der dort oben stand, das war der Sepp, in den sie sich vor zwanzig Jahren maßlos und für immer verschaut hatte.
    Sepp gewann in dieser Versammlung viele für die Sache Friedrich Benjamins, der Abend war ein großer Erfolg. Redakteur Weißenbrunn von den »Pariser Nachrichten« verfaßte denn auch einen enthusiastischen Bericht.
    Was aber später in den »P. N.« über die Versammlung zu lesen war, klang keineswegs enthusiastisch. Es waren ein paar lahme, matte Zeilen, die traurig abstachen von den schwungvollen Berichten der französischen Presse. Erstaunt fragte Sepp den Kollegen Weißenbrunn, ob ihm denn der Abend so wenig Eindruck gemacht habe. Der kleine, hurtige, impulsive Weißenbrunn schien noch mehr empört als Sepp selber. Im Gegenteil, erwiderte er, es sei ein großer Abend gewesen, und er habe auch einen langen, begeisterten Artikel darüber geschrieben. Wer daran herumgefingert habe, das habe er noch nicht ermittelt; aber er werde es herausbekommen und Krach schlagen, daß man es bis zum Triumphbogen hören werde.
    Es stellte sich heraus, daß Herr Gingold persönlich dem Artikel seine jetzige Fassung gegeben hatte. Die ganze Redaktion war empört.
    In Sepps und Weißenbrunns Gegenwart stellte Heilbrun Herrn Gingold zur Rede. Was denn zum Teufel in ihn gefahren sei, fragte er, daß er das ausgezeichnete Referat Weißenbrunns kassiert und an seine Stelle diese paar kläglichen Zeilen gesetzt habe, die mehr Schaden brächten als Nutzen.
    Herr Gingold hatte vorausgesehen, daß es zu einem solchen Auftritt kommen werde, er war gewappnet. Ein falschfreundliches Lächeln entblößte seine schlechten Zähne inmitten des viereckigen, grauschwarzen Bartes. Was wollten die Herren? Waren nicht das Reich und die Schweiz übereingekommen, die Sache Benjamin vor einem neutralen Schiedsgerichtanhängig zu machen? Hatten nicht die »P. N.« mit Recht diese Errungenschaft als einen Sieg gefeiert? Schön, jetzt war man soweit, man hatte es erreicht, das Verfahren schwebte. War es da nicht falsch, einzugreifen? In ein schwebendes Verfahren? Es war unfair, es war mehr als unfair, es war unklug, es konnte nur schaden. Hymnen, wie der Artikel in seiner ursprünglichen Fassung eine gewesen war, bewirkten fast immer das Gegenteil von dem, was sie wollten. So berserkerhaftes Lob war unvornehm, und Herr Gingold hielt darauf, die »P. N.« vornehm zu führen. War das nicht auch Herrn Professor Trautweins Bestreben? War es vornehm, für sich selber Reklame zu machen? Und mußte das Referat in der ursprünglichen Form nicht den Anschein erwecken, als schlügen die »P. N.« für ihre eigene Tätigkeit in Sachen Benjamin und für ihre eigenen Redakteure die Trommel? Nein, dazu waren die »P. N.« nicht da. Da hatte sich Herr Weißenbrunn in der Tonart vergriffen. Herr Gingold glaubte, er habe, indem er das übertriebene Referat auf das rechte Maß reduzierte, ihnen allen einen guten Dienst geleistet.
    Mit trockener, knarrender Stimme, belehrend, aufreizend überlegen, brachte er seine albernen Sophistereien vor. Er saß da, bemüht, auszusehen wie Präsident Lincoln, und strähnte seinen Bart. Er fühlte sich im Recht. Hat er dazu die »P. N.« auf die Beine gestellt, daß man für diesen Trautwein Reklame mache? Er war voll von Triumph. Da schlug er zwei Fliegen mit einem Schlag. Er holte sich einen Lobstrich bei Herrn Leisegang, dem er beweisen konnte, wie treu er seinen Vertragspart erfüllte, und gleichzeitig zeigte er seinen arroganten Angestellten, wer der Herr im Hause war.
    Es juckte Trautwein, Gingold ungeheuer grob zu kommen. Dieser Hundsknochen. Dieses stinkende Stück Liptauer. Doch Heilbrun, der den Erregten vor Unbesonnenheiten bewahren wollte, ließ ihn nicht zu Wort kommen und erwiderte selber: »Wenn nicht die Sache Benjamin die eigenste Sache der ›P. N.‹ ist, welche ist es dann? Wenn sich die Redakteure in ihrem eigenen Blatt nicht sollen darüber ereifern dürfen, daßeiner aus ihrer Mitte von den Gewalthabern geraubt und in ihre Kerker geworfen worden ist, wozu sind dann die ›P.

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