Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Sepp mit Ilse in diesen letzten Monaten öfter hatte zusammenkommen müssen als früher. Er mochte auch die veränderte Ilse Benjamin nicht, er maß ihr, wie er sich selber eingestand, ohne Grund, Schuld am Schicksal Friedrich Benjamins bei. Dabei war es doch zu einem nicht ganz kleinen Teil ihr Verdienst, wenn Fritzchens Sache noch nicht verloren war. Es war gemein von ihm, ihr aus ihrer Betriebsamkeit einen Vorwurf zu machen. Sollte sie vielleicht die Hände in den Schoß legen und abwarten, bis ihr ein freundliches Schicksal Fritzchen von alleine zurückbrachte?Wenn sie es so hielte, wenn sie nichts täte, dann zerrissen sich erst recht alle das Maul über sie.
Diesmal wird sie ihn vermutlich bitten wollen, auch er solle in der Versammlung auftreten, in der sie für die Freilassung Friedrich Benjamins sprechen wollte. An sich war dieses große Protestmeeting keine schlechte Idee; die Welt, lau wie sie war, mußte immer von neuem aufgerüttelt werden, und das öffentliche Auftreten einer hübschen, eleganten und vom Schicksal so sensationell behandelten Frau wie Ilse Benjamin war kein schlechtes Mittel, das lahmende Interesse des großen Publikums anzustacheln. Daß sie ihn dabeihaben wollte, war begreiflich; sein Name war durch seine Artikel mit der Sache Friedrich Benjamin für immer verbunden. Ihm aber war die Vorstellung nicht lieb, gemeinsam mit Ilse vor ein Pariser Publikum zu treten; es kam ihm komödiantisch vor, es roch nach Sensationshascherei. Allein er wußte nicht recht, wie er eine Weigerung hätte motivieren sollen.
Es war, wie er vermutet hatte: Ilse bat ihn um seine Mitwirkung. Ihr Widerwille gegen den lauten, selbstbewußten, spießbürgerlichen Trautwein war kaum geringer als der seine gegen sie. Auch sie sah mit gutem Instinkt, wie großartig gegensätzlich zu ihrer schmalen, sentimentalen Person in der geplanten Versammlung der schäbige, ungelenke Mann wirken, wie seine etwas täppische Naivität, seine Männlichkeit ihre Hilflosigkeit unterstreichen mußte. Sie strengte sich sehr an, ihn zu gewinnen, und hatte ihn auch bald so weit, daß er mürrisch ja sagte.
Nachdem er das einmal getan, half er eifrig bei der Vorbereitung des Meetings. Wieder packte ihn der frühere Eifer, der Kampf um Friedrich Benjamin schien ihm eine wichtigere Sache als die meisten andern Manifestationen gegen das Dritte Reich. Selbst in dieser verlumpten Welt mußte es möglich sein, daß der solidarische Wille zur Gesittung und zur Vernunft die Barbarei besiegte. Das zu demonstrieren war ein Ziel, für das kein Opfer zu groß war, auch nicht die Preisgabe seiner Musik. Das Schicksal Friedrich Benjamins war einGleichnis; vergewaltigt waren alle in diesem braunen Zeitalter. Von neuem pumpte er sich voll mit dem Grimm über das Geschehene, und es gelang ihm, die Erbitterung, die ihn seinerzeit dazu getrieben hatte, seine Musik, den Sinn seines Lebens, für die Befreiung Benjamins zu opfern, so frisch und stark zu spüren wie am ersten Tag.
Seiner Gepflogenheit zufolge setzte er die Rede nicht auf, die er halten wollte, er machte sich auch keine Notizen. Er beschränkte sich darauf, sich innerlich vorzubereiten; sowie er die Versammlung sieht, sowie er gezwungen sein wird zu reden, wird ihm der Augenblick die rechte Eingebung schenken, die Hörer mit dem eigenen großen Zorne zu füllen.
Leider kam es, bevor er sich in die Versammlung begab, zu einem kleinen Zwischenfall, der, so lächerlich er war, ihm trotzdem fast den nötigen Schwung genommen hätte. Als sie schon im Begriff waren, wegzugehen, bat ihn Anna, ein frisches Hemd anzuziehen. Sepp sträubte sich. Er hatte sich rasiert und somit Zeit genug an äußerliche Läppereien gehängt. »Kommen die Leute«, erwiderte er streitbar und ungeduldig, »um sich mein Hemd anzuschauen oder um gegen die Vergewaltigung Benjamins zu protestieren? Wem mein Hemdkragen nicht sauber genug ist, auf den verzichte ich, für solche Leute spreche ich nicht.« Schließlich brachte ihn Anna doch dazu, das Hemd zu wechseln, aber er blieb verstimmt.
In der Versammlung indes, während seiner Rede, fiel das Kleine, Läppische von ihm ab, und sein Groll gegen die Dummheit und Barbarei und sein Eifer für das Gute und Vernünftige brachen rein aus ihm heraus. Schnell sprach sich der sonst so hölzerne Mann frei. Seine breite, derbe, unverkünstelte, münchnerische Art, sein handfestes Französisch und sein unbekümmerter Akzent machten ihn den Hörern rasch sympathisch. Sepp spürte den
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