Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
N.‹ da? Die Hörer des Meetings waren hingerissen. Ist es nicht einfach eine Schande, daß die ›P. N.‹ lauer berichten als irgendeine französische Zeitung? Denken Sie doch an Friedrich Benjamin. Bis das Schiedsgericht zusammentritt, bis es sein Urteil spricht, das kann lange dauern. In der Zwischenzeit sitzt Benjamin im Konzentrationslager. Sie wissen, was das heißt.«
Herrn Gingold wurde es unbehaglich. Heilbruns Worte machten ihm Eindruck. Das war eine Schwäche von ihm, er wurde so leicht sentimental. Es war unanständig von Heilbrun, an diese seine schwache Stelle zu rühren. Aber heut soll er sich verrechnet haben. Heute wird Herr Gingold hart bleiben. Er schuldete das sich selber, seiner Familie, seinem Vertrag, der Allgemeinheit. Er verstockte sein Herz. »Was wollen Sie?« sagte er trocken, böse, und seine Augen spähten hart unter der Brille hervor. »Schließlich lebt der Mann ja.«
Jetzt aber hielt sich weder Sepp Trautwein mehr noch der kleine, hitzige Weißenbrunn. »Das ist eine Gemeinheit«, brach Trautwein aus. »Genügt es Ihnen, daß Ihre Redakteure ›leben‹?« Und Weißenbrunn: »Sind Sie einverstanden damit, daß sie über die Grenze verschleppt und ins Konzentrationslager gesteckt werden? Sollen wir dazu das Maul halten?« Und wieder Trautwein: »Was stellen Sie sich denn unter einer Kampfzeitung vor? Was Sie da machen wollen, Herr, das ist keine Zeitung, das ist ein Saustall.«
Herr Gingold blieb unbewegt. »Sehen Sie, geschätzter Herr Professor Trautwein«, sagte er lehrhaft, den kleinen Weißenbrunn beachtete er überhaupt nicht, »das sind jene Maßlosigkeiten, vor denen ich Sie und meine Zeitung bewahren möchte. Wenn Sie aber den Rat eines älteren, erfahrenen Mannes nicht dulden wollen …«, und er zuckte eindrucksvoll die Achseln.
Heilbrun hatte seit langem gerochen, wo Gingold hinauswollte, daß er es darauf anlegte, Trautwein auf gute Art loszuwerden.Rasch also und ehe Sepp eine Unklugheit begehen und sein Amt hinschmeißen konnte, griff er ein zweites Mal an. Man zankte sich noch eine Weile, Sepp war auch weiterhin sehr saftig, aber man trennte sich, bevor er etwas nicht Wiedergutzumachendes getan hatte.
17
Romantik
Hanns arbeitete nach wie vor an dem Unternehmen, Sepp für die Volksfront einzuspannen. Aber viel versprach er sich nicht mehr davon. Immer deutlicher spürte er die Untauglichkeit des Vaters für praktische Politik. Er hatte Sepps Meeting für Friedrich Benjamin mitgemacht, hatte erlebt, wie sehr Sepps Rede gewirkt, hatte sich selber davon ergreifen lassen; er fand seinen Vater liebenswert. Das hinderte ihn nicht, zu erkennen, daß Sepp auf ein falsches Gleis geraten war. Hanns rechnete es ihm hoch an, daß er seine Musik so gut wie aufgegeben hatte um seiner politischen Schriftstellerei willen. Aber deshalb ist seine Tätigkeit doch aussichtslos. Politisch gesehen, ist Sepp ein für allemal verschimmelt. Er hat den rechten Weg nicht gefunden, der doch so einfach zu finden ist. Er hätte bei seiner Musik bleiben sollen. Je weniger sich Hanns mit Sepp verstand, um so wohler fühlte er sich in der Umwelt seines gescheiten Freundes, des Buchbinders Merkle. Fast jeden freien Abend verbrachte er dort.
Er begann zu zweifeln, ob eine deutsche Volksfront überhaupt Sinn habe. Er hatte zahllose Gespräche von Emigranten mit angehört, endlose Gespräche, die immer auf das gleiche, aufgeregte, ergebnislose Gejammer hinausliefen. Er berichtete Vater Merkle von seinen Eindrücken. Die deutsche Emigration, das ist lauter Spreu. Was hat es für einen Sinn, sie zu einigen? Wenn man viel Spreu auf einen Haufen kehrt, es bleibt trotzdem Spreu. Hanns, während er das auseinandersetzte,zeichnete eifrig. Er suchte zum zehntenmal Vater Merkle festzuhalten, den kleinen, lebhaften Mann, seine straffe Magerkeit, die hellen, gescheiten Augen, den dicken Schnurrbart über dem schmalen Mund. Die Einzelheiten stimmten; aber das Ganze wirkte nüchtern und gab nichts von der klaren, heiteren und strengen Gescheitheit des Freundes.
Vater Merkle hielt an der Idee der Volksfront fest. Es ist richtig, was Hanns sagt, unter den Führern der Sozialdemokraten und der Linksbürgerlichen, die für die Volksfront in Frage kommen, gibt es nur wenige politische Köpfe, die meisten sind Nullen. Aber hinter einer Eins ergeben viele Nullen eine dicke Ziffer: warum also nicht den Nullen die Eins voransetzen?
Hanns, immer zeichnend, hörte gut zu. Er wälzte die Worte Vater Merkles in seinem
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