Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Bereitwilligkeit; wie aber, erklärte er, die Sachen jetzt stünden, veröffentlichte jeder Verleger Harry Meisels Werk mit Freuden. Beihilfe, auch finanzielle, sei dazu nicht mehr nötig. Schließlich entfernte sich Leopold Meisel, zögernd, und ohne daß sich Trautwein über den Sinn seines Besuches klargeworden wäre.
Oskar Tschernigg klärte ihn auf. Es war so, daß Leopold Meisel den Nachlaß seines Sohnes in eigene Verfügung nehmen wollte. Wozu? Auch das glaubte Tschernigg zu wissen. Der vorsichtige Geschäftsmann fürchtete, es könnten ihm im Dritten Reich Schwierigkeiten erwachsen, wenn sein toter Sohn plötzlich von der gesamten Presse als großer antifaschistischer Schriftsteller gerühmt werde. Um das zu verhüten, wollte sich Vater Meisel des Nachlasses versichern. Wenn es ihm gelang, dann war, zumindest auf die Dauer der Naziherrschaft, das Werk des Toten aus der Welt verschwunden.
Vom juristischen Standpunkt aus war es zweifelhaft, wer über den Nachlaß zu verfügen habe. Sepp Trautwein und Oskar Tschernigg konnten gewisse materielle und ideelle Ansprüche geltend machen. Einen aufsehenerregenden Prozeß um den Nachlaß zu führen, konnte Leopold Meisel nicht wünschen. Er versuchte, sich der erstrebten Manuskripte in Güte, durch Verhandlungen, zu bemächtigen. Er erklärte, das literarische Erbe seines Sohnes sei so kostbar, daß es nicht durch Massenauflagen in unbefugte Hände geraten solle; er, Leopold Meisel, ziehe vor, das kostbare Material vorläufig im Manuskript für die Kenner und wahren Freunde des Toten aufzubewahren. Er war bereit, für diesen Zweck Opfer zu bringen und den Herren Tschernigg und Sepp Trautwein ansehnliche Beträge zu zahlen, wenn sie ihm das Material aushändigten und auf ihre allenfallsigen Rechte verzichteten.
Als Sepp Trautwein endlich begriff, was Leopold Meisel mit seiner Opferbereitschaft meinte, faßte ihn ein bayrischer Zorn, und Vater Meisel mußte abziehen, unverrichteterdinge und in großer Sorge, welche Schwierigkeiten ihm sein genialer und mißratener Sohn noch aus dem Grab heraus bereiten werde.
Sepp erzählte Anna von seinen Begegnungen mit Leopold Meisel und ließ sie teilnehmen an seiner Entrüstung und an seiner Heiterkeit. Daß er das tat, war eine Ausnahme. Nichts von dem war eingetreten, was sich Anna von der glücklichen Aufführung der »Perser« erhofft hatte, ihre Anstrengungen, ihm das Leben leichter zu machen, fruchteten nicht, Sepp entglitt ihr immer mehr. Es war nicht die Rede davon, daß sie, wie seinerzeit in Deutschland, sein Leben geteilt hätte, seine Arbeit, seine Sorgen. Sosehr auch sie Friedrich Benjamins Schicksal ergriff, so tief auch sie Deutschlands zunehmende Verlotterung empörte, Sepps redaktionelle Tätigkeit blieb ihr ein fremdes Feld, und er blieb taub vor den kleinen Nöten ihres Alltags. Was früher dazu beigetragen hatte, ihn an sie zu binden, ihre stete Bemühung um seine Gesundheit, um seine Kleidung, um das Behagen seines kleinen Lebens,das alles brachte ihn jetzt mehr auf, als daß es ihn freute. Er war kein Bub mehr, er hatte keine Gouvernante nötig, er war aus Deutschland fortgegangen seiner Selbständigkeit und Ungebundenheit willen: es verdroß ihn, daß ihm ein Mensch den lieben, langen Tag in seine Angelegenheiten einredete, und wenn es auch zu seinem Besten geschah.
Je loser die Bindung mit Anna wurde, um so lieber ließ er sich die Freundschaft Erna Redlichs gefallen. Immer seltener kam er zu den Mahlzeiten nach Hause; die stille, angenehme Gegenwart Ernas tat ihm wohl, sie wußte, wann sie reden und wann sie schweigen sollte. Sie verhehlte nicht ihre Bewunderung für ihn; sie sammelte eifrig die Rezensionen der »Perser«, was in den verstecktesten Provinz-Radioblättchen erschien, trug sie herbei, sie warf sich, übrigens ohne tieferes Verständnis für sein Werk, zu einem Apostel auf. Hätten sich andere einen so übertriebenen Kult mit ihm erlaubt, so hätte er ihn gereizt zurückgewiesen. Daß sie es tat, amüsierte ihn, und es war ihm recht.
Wenn ihm hingegen Anna davon sprach, sie habe jetzt die Pereyros so weit, daß sie sich um eine Aufführung der »Perser« im Konzertsaal bemühten, dann ärgerte ihn das, und sie konnte ihn nicht dazu bewegen, sich bei Pereyros sehen zu lassen.
In diesen Tagen sagte sich wieder einmal Ilse Benjamin bei Trautwein an; es gehe um etwas Dringliches. Er sah diesem Besuch unlustig entgegen. Die gemeinsame Arbeit für den entführten Benjamin hatte bewirkt, daß
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