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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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die Redaktionsgeschäfte mengte und die Redakteure immer mehr schikanierte. Gingold war ein ausgezeichneter Rechner, das Blatt ging gut, die Auflagenziffer stieg, der Inseratenteil wurde immer üppiger, die Redakteure waren also offenbar die rechten für ihr Publikum: wozu und weshalb dann Gingolds ewiges Gemecker? Welche dunkeln Absichten versteckten sich dahinter?
    Sepp überlegte. Der unzulängliche Apparat der »P. N.« verlangte von jedem einzelnen Redakteur, daß er seine ganze Kraft hergab; dazu waren die Redakteure überhäuft mit persönlichen Sorgen. Sie brauchten von seiten des Verlegers Schonung, Aufmunterung, Zuspruch. Statt dessen mäkelte Gingold unvernünftig und aufreizend an ihnen herum. Auchdachte er trotz der sichtlich besseren Finanzlage des Blattes gar nicht daran, die oft versprochenen Gehaltserhöhungen zu gewähren. Als erfahrener Kaufmann mußte er sich selber sagen, daß er durch diese Quengelei und Knauserei das Gegenteil von dem erreichen mußte, was er erzielen wollte. Erna Redlich hatte recht: wozu also und warum schikanierte er?
    In seiner offenen Art beredete Sepp seine Zweifel mit Heilbrun. Dem war natürlich auch aufgefallen, daß sich Gingold in der letzten Zeit mühte, die Redaktionsführung noch mehr zu beeinflussen als früher. Er, Heilbrun, vermutete, daß hinter Gingold ein großer Wirtschaftskonzern stehe, der das Blatt benützen wolle, bestimmte politische und wirtschaftliche Meinungen zu lancieren. Kleine Zeitungen seien in solchen Fällen häufig besser zu brauchen als große. Daß Gingold schikaniere, das liege nun einmal in seiner Art und müsse hingenommen werden. Aber daß er daran denken sollte, den politischen Kurs der »P. N.« zu ändern, das sei einfach lächerliches Gerede. Wenn der oder jener dergleichen Gerüchte verbreite, so habe er sich anstecken lassen von der allgemeinen Emigrantenhysterie, die hinter jedem harmlosen Wort Machenschaften der Nazi wittere. »Ich, Franz Heilbrun«, erklärte er beruhigend und autoritativ, »bin auf keinen Fall gewillt, mir von Gingold auch nur im kleinsten in meine Politik einreden zu lassen.« Und: »Schlagen Sie sich die Flausen aus dem Kopf, lieber Sepp«, schloß er großspurig. »So viel ist sicher: eher gehe ich selber, als daß ich Sie gehen lasse.«
    Anna hatte sich in der letzten Zeit immer enger an Gertrud Simmel angeschlossen. Vor der Welt hielten die beiden Frauen die tapfere, damenhaft heitere Miene fest. Vor sich selber ließen sie sich gehen, sie versteckten nichts mehr von dem Kampf ihres kläglichen Alltags. Voreinander schimpften sie, klagten sie, zuweilen auch trösteten sie sich.
    Gertrud Simmel hatte keinen Beruf; doch ihr Tag war ausgefüllt mit vielen kleinen Geschäften. Ihre Einkünfte wurden immer beschränkter, aber die Simmels führten nach wie vorein glänzendes Haus und entfalteten lebhafte Geselligkeit. Das war aufreibend. Man mußte eine Sicherheit vortäuschen, die nicht da war; von heut auf morgen konnte die schmale wirtschaftliche Basis vollends wegbröseln. Die Abende bei Simmels waren angenehm, man traf dort Menschen von Verstand und Geschmack, man machte ein bißchen Musik, man schwatzte, man leistete es sich, die Dinge nicht aus der egozentrischen Perspektive des herunterkommenden Emigranten anzuschauen, sondern aus der Höhe.
    Anna, von Natur gesellig, fühlte sich wohl in diesem Kreis und verbrachte dort oft ihren Abend. Ein wenig leid tat es ihr manchmal, daß sie nicht selber Freunde um sich versammeln konnte wie früher in Deutschland. Aber sie wußte, welche Anstrengungen es Gertrud Simmel kostete, diese Geselligkeit aufrechtzuhalten, und manchmal verspürte sie auch im Hause der Simmels, schon fast gekitzelt, jenes bange Gefühl, das in diesen Wochen so oft in ihr hochstieg: Wird es heute das letztemal sein?
    Wann immer Gertrud Zeit dazu hatte, holte sie Anna bei Wohlgemuth ab. Manchmal schloß sich Elli Fränkel den beiden für ein Stück Weges mit an. Elli Fränkel wurde mit zunehmendem Sommer immer hübscher; leichtfertig, in zierlichen Fähnchen, flatterte sie herum. Sie hatte jetzt einen neuen Freund, hatte aber ihren unsympathischen Doktor Wendtheim nicht aufgegeben, sie hatte sich rückversichert. Auch kokettierte sie nach wie vor mit Wohlgemuth; doch ließ sie ihn zappeln, so daß er immer nervöser wurde und immer ärgere Kalauer riß. Ellis Gedanken waren noch weniger bei ihrer Arbeit als früher, und gewöhnlich, wenn Elli etwas versiebt hatte, bekam es Anna auszubaden.

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