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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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die den Angeklagten beanstandet hatten, bei der künstlichen Beleuchtung, die im Eisenbahnzug vorhanden war, und auch bei dem Scheinwerferlicht eines Motorrads, die Hose für heller ansahen, als sie, bei Tage besehen, tatsächlich ist. Auch sei nicht zu verkennen, daß bei dieser Hose die frühere helle Farbe im Lauf der Zeit wieder etwas mehr zum Vorschein gekommensei und ihr somit wieder den Anschein einer SA-Hose gegeben habe. Daß der Angeklagte trotzdem die Hose weiter getragen habe, müsse als eine außerordentliche Frechheit bezeichnet werden. Aus diesen Gründen wurde die Berufung des Angeklagten kostenfällig verworfen.«
    Diesen Gerichtssaalbericht aus dem »Fränkischen Kurier« hatte also Sepp Trautwein abgedruckt, wörtlich, mit all den Fehlern gegen die deutsche Grammatik und Verstößen gegen den deutschen Sprachgeist, die der Autor nach dem Vorbild des Führers begangen hatte. Und viele lasen den Bericht und hatten ihre grimmige Freude daran.
    Herr Louis Gingold, gierig spähend, wo er eine Handhabe finden könnte, gegen den lästigen Sepp Trautwein vorzugehen, nahm an dem Abdruck Ärgernis. Er fand es anstößig, daß man den kostbaren Raum der »P. N.« mit solchem Quark fülle statt mit ernsthaften allgemeinen Charakterisierungen der kulturfeindlichen Tendenzen des Nationalsozialismus.
    Die Arme eng an den Leib gepreßt, saß er hinter seinem Schreibtisch, schielte unter der Brille heraus auf Trautwein und setzte ihm sein Unrecht auseinander mit Worten, deren liebenswürdige Umständlichkeit doppelt aufreizend war.
    Trautwein war starr. »Haben Sie denn keine Augen?« brach er dann los. »Sehen Sie denn nicht, wie diese bürokratische, stur pathetische Gerichtsverhandlung gegen den Juden Hutzler die Kümmerlichkeit der Nazi enthüllt? Riechen Sie denn nicht, wie ihr ganzes, beflissenes, schwitzendes Minderwertigkeitsgefühl aus der Verfolgung dieser jämmerlichen gefärbten Hose herausstinkt?« Nein, Herr Gingold roch es nicht. Sauer und mißbilligend saß er da. »Wenn ich aufrichtig sein soll«, beharrte er knarrend, »dann finde ich das, was Sie da gemacht haben, einen dürftigen Spaß, geschätzter Herr Professor. Ich finde, der Raum der ›P. N.‹ ist zu schade für solche Späße.«
    Sepp begann sich ernstlich über die trottelhaften Einwände des Gingold zu ärgern. Er war stolz darauf, in diesem Gerichtssaalbericht eine jener kostbaren kleinen Geschichten aufgestöbert zu haben, die zum Gleichnis einer ganzen Bewegungwerden, einer ganzen Ideologie. Er wußte nicht, daß das Regime der Nazi ihm noch sehr viele weit grausigere, grausamere und schlagendere Gleichnisse solcher Art liefern werde. Ihm schien die bornierte Erbitterung, mit der sich die Justiz der Nazi auf die gefärbten Hosen des Juden Hutzler stürzte, ein Vorgang, der jeden, der sehen wollte, über die nackte Armseligkeit des Dritten Reichs besser aufklärte als hundert dicke Wälzer. Und statt daß der Gingold, dieses Rindvieh, sich darüber freute, daß so was in seinem Blatt erschien, mandelte er sich auf und putzte ihn herunter wie einen Schulbuben. Nein, mein Lieber, so kann man dem Sepp nicht kommen. »Es tut mir leid, Herr Gingold«, sagte er und lief rot an, »daß Ihnen der Beitrag nicht gefällt. Aber ich sag’s, wie es ist: wenn Ihnen das nicht gefällt, dann verstehen Sie einen Dreck vom Sinn und Zweck eines Emigrantenblattes. Es wäre gescheiter, wenn Sie in solchen Fällen Ihre Meinung für sich behielten. Sie nehmen einem die Lust, an dem Blatt zu arbeiten.«
    »Sie machen es sich leicht, geschätzter Herr Professor«, sagte süß und tückisch Herr Gingold. »Wenn Sie irgendwo was finden, was Ihnen spaßhaft erscheint, oder wenn Sie sich Luft machen wollen, dann benützen Sie mein Blatt und drukken drauflos. Wer dann der Leidtragende ist, wenn die Leser abspringen, darum kümmern Sie sich nicht. Der alte Gingold kann zahlen.«
    »Warum haben Sie mich eigentlich in die Redaktion geholt?« fragte Sepp, er sprach leise und ruhig, aber er stand unmittelbar vor dem Schreibtisch, an dem Gingold saß, und sah keineswegs gemütlich aus. Herrn Gingold wurde es auch ungemütlich, doch er dachte an die Versprechungen, die er Leisegang gegeben hatte, und hielt dem Blick der tiefliegenden, zornfunkelnden Augen Sepps stand. Ja, er musterte ihn von oben bis unten, und: »Wie Sie ausschauen, verehrter Herr Professor«, sagte er statt aller Antwort sanft und vorwurfsvoll. »Glauben Sie, es ist dem Prestige unseres Blattes

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