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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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förderlich, wenn unsere Redakteure solche Röcke tragen und solche Hemdkragen?«
    Mit einemmal war es Sepp klar, daß es Gingold nicht um den Gerichtssaalbericht über die Hosen des Juden Hutzler ging, auch nicht um seinen, Sepps, Anzug. Er dachte an das, was man ihm über Gingold erzählt hatte. Aus welchen Gründen immer, soviel war gewiß: der Mann wollte ihn los sein. Gar nicht ignorieren, dachte er eine viel gebrauchte humoristische Wendung und wurde ganz kalt. »Was wollen Sie eigentlich, Herr?« fragte er. »Wollen Sie mich hinausekeln? Wollen Sie, daß ich meine Stellung hinschmeiße? Den Gefallen tu ich Ihnen nicht.«
    Herr Gingold hatte wirklich gehofft, Sepp so reizen zu können, daß er sein Amt hinschmiß. Da es so nicht ging, änderte er schnell und gewandt seine Taktik. »Was bilden Sie sich da ein, Herr Professor?« fragte er süß. »Welchen Grund sollte ich haben, einen so wertvollen Mitarbeiter hinauszugraulen? Wenn ich auch häufig anderer Ansicht bin als Sie, das Blatt liegt uns allen am Herzen. Was ich möchte, das ist einzig und allein besseres Einvernehmen, bessere Zusammenarbeit. Wie wäre es zum Beispiel«, riet er väterlich, »wenn Sie sich entschließen könnten, mir Ihre Artikel vorzulegen, bevor Sie sie in Satz geben?«
    »Lecken Sie mich am Arsch«, sagte gelassen Sepp.
    Er erzählte Heilbrun seinen Zusammenstoß mit Gingold. Heilbrun lachte, aber er hatte Bedenken. Vom juristischen Standpunkt aus war Sepps Verhalten nicht einwandfrei. Gingold hatte in die Verträge Klauseln eingefügt, die ihm die Möglichkeit gaben, Redakteure bei groben Verstößen gegen die Disziplin zu entlassen. Gingolds Aufforderung, Sepp solle ihm seine Artikel vor Erscheinen zeigen, war unberechtigt, aber es war ein Ratschlag, wenn auch ein anmaßlicher, kein Befehl, und daß Sepp diese Aufforderung mit der unflätigen Einladung beantwortet hatte, konnte als Disziplinwidrigkeit ausgedeutet werden. Andernteils war es unwahrscheinlich, daß es Gingold auf einen Prozeß werde ankommen lassen, und wenn, so fanden Rabelaissche Wendungen vor französischenGerichten gewöhnlich Verständnis. Was immer sich ereignen werde, schloß Heilbrun, er denke nicht daran, Sepp gehen zu lassen, und: »Eher gehe ich selber, als daß ich Sie gehen lasse«, wiederholte er großartig das Versprechen, das er ihm schon einmal gegeben.
    Sepp fuhr nach Hause. Der Zusammenstoß mit Gingold hatte ihn mehr belebt als verärgert, und gutgelaunt berichtete er Anna. Sie hatte empörte Worte für Gingolds Hinterlist, aber im Grunde waren ihr die ständigen Reibereien ihres Sepp mit Gingold nicht unwillkommen. Wohlgemuth hatte sie ein zweites Mal gefragt, ob sie sich nun entschlossen habe, mit nach London zu gehen, sie mußte ihm endlich antworten. So resolut sie sonst unangenehme Dinge anpackte, diesmal hatte sie die endgültige Aussprache mit Sepp immer wieder hinausgeschoben. Sie wußte, er wollte nun einmal nicht nach London, mit Verstandesgründen war dagegen schwer aufzukommen, und lieber noch dieses Hangen und Bangen als ein letztes, klares Nein. So war ihr der Vorfall auf der Redaktion beinahe recht, weil er wieder einmal bewies, wie unsicher dort Sepps Stellung war. Es ging gar nicht anders, man mußte die Chance ergreifen, die das Schicksal einem bot, man mußte nach London. Wenn sie es jetzt, nach Sepps Krach mit Gingold, unterließ, die brenzlige Frage von neuem anzuschneiden, dann wäre das verbrecherische Feigheit.
    Er habe nun selber gesehen, setzte sie ihm auseinander, daß Gingold keine Gemeinheit scheue, ihn loszuwerden. Er sei viel zu anständig für diesen Gingold, und wenn es dem schlauen Mann heute mißglückt sei, ihn hinauszubeißen, so werde es ihm morgen gelingen. Wäre es da nicht gescheiter, wenn Sepp den Stiel umdrehte und die Sache gleich selber hinschmisse? Die Übersiedlung nach London, die er heute als Unglück empfinde, werde ihm morgen als ein Glück erscheinen. Ihr werde es geradezu Spaß machen, ihren Doktor in London zu installieren, und er, Sepp, sehne sich doch auch nach der Rückkehr zu seiner Musik. Es wäre Torheit und Sünde, die Gelegenheit nicht wahrzunehmen.
    Wie das erstemal verdroß es Sepp auch heute, daß er gegen Annas Argumente nichts Rechtes vorzubringen wußte. Sein Instinkt, seine innere Trägheit, das, was er euphemistisch seine münchnerische Gemütlichkeit nannte, sträubte sich immer heftiger gegen die zugemutete Veränderung. Anna, bog er aus, nehme den Vorfall in der Redaktion zu

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