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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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stand auf, um ihr Bad einzulassen. Dann indes, auch das gegen ihre Gewohnheit, setzte sie sich wieder auf ihr Bett, nachdenklich. So saß sie eine Weile. Vom Badezimmer kam Geplätscher, die Wanne lief über. Das passierte ihr sonst nie.
    Sie ging ins Badezimmer, schloß die Hähne. Aber sie stieg nicht in die Wanne, vielmehr ging sie zurück und setzte sich wieder auf ihr Bett, ein wenig schlaff, den Mund halb offen. So verharrte sie eine Zeit, bis sie zu frösteln anfing. Dann plötzlich rief sie nochmals die »Nachrichten« an: »Hören Sie, es ist doch ein bißchen sonderbar, daß Fritzchen nicht da ist.Ich möchte das gern eingehender mit Ihnen bereden. Wenn es Ihnen recht ist, komme ich vorbei.« – »Ja, tun Sie das, es ist das beste«, erwiderte man ihr, und aus der Promptheit dieser Antwort schloß sie, daß man einen solchen Vorschlag erwartet hatte.
    Sie verzichtete auf ihr Bad und machte sich weniger sorgfältig zurecht als sonst. Das geschah nicht nur aus Eile, es war auch eine Art Kasteiung, die sie auf sich nahm.
    Auf der Redaktion empfing man sie mit betretener Neugier wie nach einem Trauerfall. Man dämpfte das Geschwätz, die Schreibmaschinen hörten auf zu klappern, man ging wie auf Zehenspitzen. Man führte sie in Heilbruns Zimmer. Kaum hatte der sie begrüßt, so war auch schon Trautwein da. Den konnte sie nicht ausstehen, er schien ihr so plump und derb wie sie ihm preziös und prätentiös. Trautwein, in seiner rücksichtslosen Art, ging direkt auf die Sache los. »Man muß gleich etwas unternehmen«, sagte er. »Wenn ein so pünktlicher Mann wie Benjamin so lange überfällig ist, ohne was von sich hören zu lassen, dann ist das mehr als bedenklich. Basel. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, warum er gefährdet ist und wie sehr. Wir waren allesamt Idioten, daß wir ihn nicht von dieser Reise abgehalten haben.« Und jetzt resümierte sogar der verbindliche, vorsichtige Heilbrun: »Es ist eigentlich nicht gut vorstellbar, daß er weder Ihnen noch uns sollte Bescheid gegeben haben, wenn ihm nichts zugestoßen ist.«
    Ilse schaute von einem zum andern. Sie saß da, den Mund halb offen, verängstigt, töricht. Natürlich hatten die beiden recht, aber sie wollte es nicht wahrhaben. Sie suchte nach Gegengründen. »Dittmann«, sagte sie, gequält, noch gedehnter als sonst. »Sie waren doch befreundet, er und Dittmann. Er hat Dittmann so gern gehabt.« Ihr selber wie den beiden andern fiel auf, daß sie »waren« sagte und »gehabt«. Hatte sie sich schon damit abgefunden, daß etwas passiert war und daß Dittmann seine Hand im Spiel gehabt hatte? Nein, nein. »Dittmann hat ihm geschrieben«, fuhr sie fort, belebter, zuversichtlicher. »Er hat gefragt, warum er keine Nachricht vonFritzchen habe.« »Fritzchen«, das klang nicht passend jetzt, aber wie sonst sollte sie ihn nennen? »Von wo hat er geschrieben?« fragte Trautwein. Und Heilbrun fast gleichzeitig: »Und wann? Haben Sie den Brief?« – »Der Brief ist aus London«, erwiderte sie. »Er kam Mittwoch morgen. Bei mir habe ich ihn nicht, er liegt zu Hause.« – »Wie immer, man muß gleich die Polizei benachrichtigen«, sagte resolut mit seiner hellen Stimme Trautwein. Ilse schaute ihn an, gehetzt, wie einen Feind, weil er ihr keine Illusionen ließ. Heilbrun, für sein Teil, sagte: »Man muß diesen Dittmann zu erreichen suchen, in London, telefonisch, telegrafisch.« – »Aber zuerst telefoniere ich der Polizei«, sagte Trautwein.
    Ilse saß da, ihre braunen Augen gingen wirr, hilflos von einem zum andern, die breiten Backenknochen stachen scharf vor, sie war nicht mehr hübsch, selbst Friedrich Benjamin hätte nicht finden können, daß das freche, schicke Tiroler Hütchen ihr gut stehe. Mechanisch zerknüllte sie das winzige Taschentuch. »Man braucht ja nicht gleich das Schlimmste zu denken«, tröstete Heilbrun. Aber Trautwein sagte: »Es ist praktischer, wir denken Schlimmes. Wir müssen handeln, und wir müssen diejenigen, welche die Macht haben, zum Handeln zwingen.«
    »Eine Handvoll Gewalt ist besser als ein Sack voll Recht«, hatte die »Deutsche Justiz« geschrieben, das amtliche Blatt der deutschen Rechtspflege, und diesem Grundsatz entsprechend hatte das Dritte Reich gehandelt. Beamte der Geheimen Staatspolizei hatten aus der Schweiz in der Nähe von Ramsen den Kommunisten Weber entführt, der Emigrant Walther Kahn war gewaltsam aus dem Saargebiet nach Deutschland verschleppt worden. An der tirolisch-bayrischen Grenze hatte man

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