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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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geschehen sei. Vielleicht war er schon tot. Dann war sie schuld daran. Sie klagte sich an, sie hätte gleich erkennen müssen, daß die Telegramme nicht von ihm stammen konnten, sondern gefälscht sein mußten. Wenn er nicht mehr zu retten war, dann war es ihre Schuld. Auch daß sie ihn aufgefordert hatte, nicht zu telefonieren, war schuld.
    Wenn er wirklich tot war, was soll dann aus ihr selber werden? Diese böse Frage war wahrscheinlich vom ersten Augenblick an in ihrem Innern gewesen, doch sie hatte sie nicht Gedanke oder gar Wort werden lassen. Jetzt, da sie das Bild anstarrte und das Bild ihr schwieg, so daß der Zweifel sie bedrängte, ob Fritz noch lebe, kam ihr plötzlich zum Bewußtsein, vor wieviel Problemen sie selber stand.
    Wenn er tot war, dann war sie eine Frau ohne Geld und in höchst unklarer Situation. Die Emigranten mochten sie nicht leiden; sie werden sie zwar, schon aus Gründen der Propaganda, als »Opfer« gelten lassen und ihr gnädig ein paar Almosen zuwerfen, aber im Grunde ist sie ihnen zuwider, sie verstehen nichts von ihr. Aber war sie denn auf die Emigranten angewiesen? Sie war dann , auch ohne die Emigranten, eine Frau, interessant, hübsch, freilich nicht mehr sehr lange, so was wie eine Märtyrerin. Aussichten hatte sie, wenn sie wollte. »Vernehmungen« durch die deutsche Staatspolizei. Vielleicht war es für ihn und für sie am besten, wenn er tot war.
    Wie immer, sie hat heute noch nicht gebadet. Sie ließ das Wasser einlaufen, zog sich aus, ziemlich mechanisch, legte sich in die Wanne. Wieder stiegen ihr die scheußlichen Bilder der »Vernommenen« hoch. Sie kam sich elend vor, abgehetzt, auch verworfen, weil sie so viel an sich selber dachte. Wie konnte sie ihm helfen? Sie konnte ihm nicht helfen.
    Sie trocknete sich ab, zog sich an, saß vor dem Spiegel. Wunderte sich, daß ihr das Bild der Ilse entgegenschaute, die sie kannte, daß ihre Augen nicht trüber geworden waren, das Blond ihrer Haare nicht stumpfer, daß sie sich nicht veränderthatte. Auch unverändert kam sie sich alt vor, müde, ausgeleert.
    Es klopfte, es war die Post. Ein kleiner Schreck durchfuhr sie. Sie hatte gelesen, daß die deutschen Behörden die Überbleibsel Erschlagener, die Urne mit der Asche, den Angehörigen durch die Post zuzustellen pflegten. Unsinnigerweise hatte sie gefürchtet, man bringe ihr jetzt eine solche Sendung.
    Das Telefon läutete. Janosch war da, man hatte ihm ausgerichtet, daß sie angerufen habe, er glaubte, sie wolle den Abend mit ihm zusammen sein. Gerade weil diese Annahme nahelag, hatte sie plötzlich eine sinnlose Wut auf ihn, so erstickend, daß sie nicht sprechen konnte. »Werden wir also den Abend zusammen sein?« fragte seine hübsche, dumme Stimme. »Nein«, sagte sie scharf, und da er verblüfft zurückfragte, was denn los sei, ihr ein paar Kosenamen gab, seine Bitte wiederholte, sagte sie, noch schärfer: »Nein, heute nicht und morgen nicht und niemals«, und wie er, überaus erstaunt, weitersprach, hängte sie ein.
    Auch zu Abend konnte sie nicht essen, eine lähmende Stumpfheit war über ihr. Sie rief bei der Polizei an, bei Heilbrun. Nachforschungen verschiedener Art waren im Gang, von den kundigsten Fachleuten angestellt; man werde sie anläuten, sowie man Bestimmteres wisse.
    Sie legte sich zu Bett, lag da, miserabel, in fauliger Trostlosigkeit. Die Glieder schmerzten sie vor Müdigkeit, doch es kam kein Schlaf. Sie schaltete das Licht aus, wieder ein. Das Bild Fritzchens – nun war er wieder Fritzchen – schaute herüber. Fritzchen schaute sie an mit kugeligen, fanatischen, verzweifelten Augen; so hatte er sie angesehen, wenn sie sich vor Dritten über ihn lustig machte. Sie erinnerte sich, daß sie im Geist mit ihm gehadert hatte, weil er zu feig sei, gegen ihr Gebot zu telefonieren. Es fiel ihr schwer auf die Seele, daß sie damals nicht spürte, welche Mächte ihn daran hinderten. Sie klagte sich der Stumpfheit an, der Gefühllosigkeit. Eine Minute lang hatte sie geglaubt, sie sei eine Märtyrerin. Quatsch.Aus dem Stoff, aus dem sie gemacht war, wurden keine Märtyrerinnen.
    Sie dachte an die vielen Geschlagenen, Gefolterten, Gemordeten. Wie hieß der letzte, den die Nazis gejagt hatten? Gejagt? Gekillt, umgelegt, erledigt. So nannten sie das. Wie hieß er doch? Formis hieß er, ja, Formis, und in der Tschechoslowakei war es geschehen. Morgen also wird es in den Zeitungen heißen, Friedrich Benjamin, der bekannte Journalist, sei vermißt, vermutlich sei er

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