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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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den schottischen Ingenieur Georg Bell ermordet, weil er um viele Heimlichkeiten der Machthaber wußte, Polizeiagenten hatten den deutschen Matrosen Scholz und andere deutsche »Aufrührer« aus Holland verschleppt. In der Tschechoslowakei hatten Agenten der deutschen Polizei eine ganze Reihe von Entführungen und Entführungsversuchen ins Werkgesetzt. Nationalsozialisten hatten dort den deutschen Philosophen Lessing umgebracht und, erst vor kurzem, den emigrierten Ingenieur Rudolf Formis. Von allen diesen Ereignissen hatte Ilse gehört; sie wußte keine Details mehr, aber das wußte sie, daß diese Gewalttaten auf scheußliche, dreckige Art versucht und ausgeführt worden waren, und die Vorstellung, was mit Fritz in diesen Tagen geschehen sein mochte, wühlte ihr das Innere hoch. Es duldete sie nicht mehr auf ihrem Stuhl. Vor den beiden Männern stand sie, keine elegante Dame mehr, einfach eine gehetzte Kreatur, und mit leiser Stimme, mühsam, mit zitternden Lippen, sagte sie: »Helfen Sie, so helfen Sie mir doch.«
    Man rief bei der Polizei an, beim Auswärtigen Amt, bei der Schweizer Gesandtschaft. Die letzte der Gewalttaten, an die Ilse soeben hatte denken müssen, die Tatsache nämlich, daß deutsche Polizeiagenten erst sechs Wochen vorher in der Tschechoslowakei einen emigrierten Ingenieur, weil er den Behörden des Reichs unangenehm wurde, ungestraft und viehisch hatten ermorden können, hatte die Weltöffentlichkeit erregt, und die Meldung der »Nachrichten«, jetzt sei auch Redakteur Benjamin unter verdächtigen Umständen verschwunden, fand offenes Ohr.
    Schon eine Stunde nach der Anzeige wurde Ilse von einem französischen Polizeikommissär eingehend vernommen. Sie riß sich zusammen und gab ruhige, klare Auskunft. Kaum aber war die Vernehmung vorbei, als sie in sinnlose Panik geriet. Es mußte etwas geschehen, sie mußte etwas unternehmen. Sie rief zunächst ihre Freundin Edith an und bat sie, zu kommen. Eine Viertelstunde später war Edith da, und in ihrem Schreck spiegelte sich die ganze Bedeutung von Friedrich Benjamins Verschwinden. Dann, reichlich sinnlos, rief Ilse bei sieben, acht, neun anderen ihrer Bekannten an, erzählte in fliegender Hast, verworren, was geschehen war, und bat sie, Leute zumeist, die in dieser Sache auch beim besten Willen nichts tun konnten, um Rat und Hilfe. Auch Janosch wollte sie darum bitten, aber sie erreichte ihn nicht. Den Grafen Bonninierreichte sie, und so voll Panik war sie, daß sie nicht einmal bemerkte, wie betreten und zunehmend kälter er wurde, als er erfaßte, worum es ging.
    Dann, als Edith fort war, saß sie allein in ihrem kleinen Zimmer im Hotel Atlantic. Es war später Nachmittag, und sie hatte heute noch so gut wie nichts gegessen; aber sie spürte keinen Hunger.
    Ilse Benjamin liebte ihren Mann auf ihre Art. Sie hatte grauenvolle Schilderungen gelesen und gehört von dem, was man in Deutschland »Vernehmungen« hieß, sie hatte selber mit solchen »Vernommenen« gesprochen, denen es später geglückt war, zu entkommen, sie hatte neugierig, überschauert, gekitzelt ihre Narben gesehen, befühlt. Wenn sie sich vorstellte, daß jetzt, vielleicht in dieser Minute, Fritz – schon wagte sie nicht einmal in Gedanken mehr, ihn Fritzchen zu nennen – auf solche Art »vernommen« wurde, dann zog sie überfröstelt die Schultern hoch, hohl und bedrohlich kroch es ihr den Magen hinauf, der Mund wurde ihr trocken. Sie saß da, eine Weile, zusammengekrümmt, die breite, niedrige Stirn in Falten, obwohl sie sich gelobt hatte, diese üble Angewohnheit abzulegen.
    Das Telefon läutete jetzt ziemlich oft. Schon hatte sich, vor allem dank Ediths, herumgesprochen, was geschehen war, Freunde läuteten an, Bekannte, mitleidig, sensationslüstern, Zeitungen fragten, ob sie Reporter senden könnten. Wieder spürte Ilse die Begier, irgend etwas zu tun, ganz leise auch fühlte sie eine gewisse Genugtuung, daß sie jetzt im Mittelpunkt so sensationellen Geschehens stand. Aber sie brachte Besonnenheit genug auf, die »P. N.« um Rat zu fragen, was sie tun solle, und dort empfahl man ihr, bis auf weiteres niemand vorzulassen.
    Sie blieb in ihrem Zimmer im Hotel Atlantic. Wenn sie herumging, trieb es sie, stillzusitzen, zu liegen, zu denken, wenn sie saß oder lag, trieb es sie, aufzustehen, herumzugehen. Alles erinnerte sie an Fritz. Sie starrte sein Bild an, sie erwartete, das Bild werde, wenn sie es nur recht beschaue, zu sprechenanfangen, und sie werde erfahren, was Fritz

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