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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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geschrieben, erwarten müssen, sie in elendem Zustand vorzufinden: aber daß sie so verkommen sein werde, so verwahrlost und zerrüttet, das hatte sie sich doch nicht vorgestellt. Kein Mensch hat ahnen können, daß es mit der reichen, zarten, verwöhnten Elli, die für sie selber, als sie zusammen in die Schule gingen, der Inbegriff des Luxus gewesen war, so schnell bergab gehen werde, selbst dann nicht, als ihr Mann, der Sozialdemokrat, im Konzentrationslager umgekommen und Elli Fränkel so gut wie mittellos in Paris gelandet war.
    Aber so leid es Anna tut, sie kann ihr jetzt nicht länger Gesellschaft leisten. Sie steht auf. »Ich muß zu Doktor Wohlgemuth«, sagt sie resolut. Doch wie die andere hilflos zu ihr aufschaut: »Gehst du schon?«, bringt sie es doch nicht über sich, Elli so sitzenzulassen. Obwohl sie sich vorgenommen hat, keine leichtsinnigen Versprechungen zu machen, redet sie ihr zu: »Kopf hoch, Elli. Wir bringen dich schon unter. Ich spreche mit Wohlgemuth. Der sucht jemand.«
    Sie ist mit dem Satz noch nicht zu Ende, als sie ihn schon bereut. Zwar liegt es nahe, dem Doktor, nachdem er sein französischesDienstmädchen entlassen hat, Elli Fränkel zu empfehlen; so eine Arbeit, halb die eines Dienstmädchens, halb die einer Empfangsdame, bringt jede fertig. Jede, aber nicht Elli. Sie ist zu ungeschickt. Es wird für alle Beteiligten nur Ärger geben. Doch nun hat sie es einmal versprochen. Sie hat Mühe, einen Seufzer zu unterdrücken: wieder ein unangenehmes Geschäft mehr. Aber jetzt kann sie Elli wenigstens mit besserem Gewissen allein lassen und, endlich, abhauen.
    Sie rennt zur Metrostation, drängt sich in den Waggon, wird gestoßen, gedrückt, steht in unbehaglicher Enge. Sie merkt es kaum. Sie bringt das Bild nicht aus dem Kopf, wie sich Elli gierig über die armseligen Speisen gestürzt hat, nicht die schlaffen Worte, mit denen sie von ihren kläglichen Versuchen berichtete, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Wie verwaschen sie dagehockt ist, wie abgestorben. Anna, die so stattlich vor ihr saß und ihr mit Rat und Tat half, mit guten Worten, mit Essen, mit Geld, kam sich vor wie der verkörperte Wohlstand und die leibhafte Energie. Mit Recht. Steht nicht ihre Situation so hoch über der Ellis wie die des Direktors der Bank von Frankreich über ihrer eigenen? Die andere hat das schiere Nichts: sie selber hat, zumindest für die nächsten Monate, zu leben, sie hat Wohnung, Mann, Stellung, Geld. Und vor allem hat sie Mut und Zuversicht. Dennoch, und das spürt sie, ist es nicht Mitleid allein, was sie beim Anblick Ellis bewegt hat, es schwingt etwas mit wie eine ferne, nebelhafte Sorge: keiner von uns ist sicher; in einem halben Jahr, in einem Jahr kann jeder von uns ebenso dastehn.
    Anna dreht und wendet sich energisch, um sich Luft zu schaffen, sie gebraucht die Ellbogen. Unsinn. Elli ist ein Sonderfall, sie ist lebensuntüchtiger als die meisten andern, sie hat nichts gelernt, was sich nutzbringend verwenden ließe, sie ist unbegabt für Sprachen. Hirschbergs hatten den besten Willen und haben sie doch am Ende entlassen müssen. Sie eignet sich nicht zum Dienstmädchen. Sie ist nicht nur unfähig, in ihrem Innern wehrt sie sich auch gegen eine solche Beschäftigung, bei allem zur Schau getragenen guten Willen.
    Elli ist zu anspruchsvoll, das ist es. Aber da es einmal so ist, hätte sie Elli nichts versprechen dürfen. Der ist nicht mehr zu helfen. Selbst wenn der Doktor sie engagiert, nach vierzehn Tagen wird er sie doch entlassen, genau wie Hirschbergs, und man steht am gleichen Fleck wie zuvor. Nur schlimmer wird es sein; denn viele Schläge hält Elli nicht mehr aus. »Der starke Mann ficht, und der kranke Mann stirbt.« Sepp hat recht, wenn er diesen Vers so gern zitiert.
    Endlich ihre Haltestelle, zwei Uhr fünfzig. Sie läuft durch den dünnen Märzregen die schmale Seitenstraße der breiten Avenue de la Grande Armée entlang, dem Hause Doktor Wohlgemuths zu. Sie läuft hastig und achtet nicht der kleinen Pfützen. Fast eine Stunde Verspätung. Sie hat sich zwar von vornherein entschuldigt, und der Doktor ist nicht der Mann, Krach zu machen; aber er kann einem mit seinen Sarkasmen verflucht zusetzen, und sie will ihn bitten, Elli anzustellen, und angenehm ist die Verspätung nicht.
    Sie ist angelangt. Hastig zieht sie den weißen Kittel über und schaut ins Wartezimmer. Es ist knüppeldicke voll, und das alles muß bis halb sechs erledigt sein; denn von da an ist die Zeit für

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