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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Schlacksigkeit keineswegs faul war. Heute war er bei einem Antiquar gewesen, der ihm den Erstdruck eines Musikstücks von Haydn angeboten hatte; Peter Dülken sammelte mit Leidenschaft Manuskripte und Erstdrucke klassischer Musik. Die andern machten sich oft lustig über seine Passion und stellten fest, daß ihm die kritische Untersuchung und Herausgabe klassischer Musik viel mehr am Herzen liege als sein Journalismus. Dabei aber nahm er seine Tätigkeit an den »P. N.« sehr ernst. Seine Funktionen waren nicht genau umgrenzt, aber er machte sich überall nützlich, und wiewohl die andern zuweilen gutmütig über seine Tätigkeit spöttelten, ging er jedem ab, wenn er einmal nicht da war.
    Peter Dülken, Pitt, wie man ihn allgemein nannte, hatte sogleich, nachdem die Barbaren über Deutschland gekommenwaren, die Heimat verlassen, gegen den Willen seiner Eltern und ohne daß er dazu gezwungen gewesen wäre. Die Interessen des jungen Menschen hatten in Deutschland nicht der Politik gehört, sondern ausschließlich der Musik. Zuerst hatte er Lieder geschrieben und einige Sonaten, nicht ohne einen gewissen Erfolg, aber da er das Gefühl hatte, er werde das letzte, was ihm vorschwebte, doch nie erreichen, hatte er sich darauf verlegt, gewisse Partituren der Meister in ihrer ursprünglichen Reinheit wiederherzustellen. Er litt darunter, daß viele Werke der Klassiker durch Schreib- und Druckfehler, die sich in die Partituren eingeschlichen hatten, entstellt waren, heillos entstellt, wie ihm schien, und er führte einen zähen Kampf, durch Tilgung dieser Fehler die urtümliche Reinheit und Harmonie wiederherzustellen.
    Damit also hatte der jetzt Neunundzwanzigjährige seine Zeit in Deutschland verbracht. Nun aber, seitdem er in Paris war, betrieb er seine Passion nur mehr nebenher, seine Haupttätigkeit jetzt galt dem Kampf gegen die Nazi, der Mitarbeit an den »P. N.«. Seine Eltern, reiche Kölner Juden, flehten ihn an, davon abzulassen. Sie baten, sie drohten, ihm seine Bezüge zu sperren. Sie taten ihm leid, aber er konnte ihnen nicht helfen. Übrigens wiesen sie ihm trotz ihrer Drohungen nach wie vor auf dem Umweg über ausländische Verwandte eine Monatsrente an und mühten sich auch, ihm seine Sammlung von Manuskripten und Erstdrucken aus Deutschland stückweise und nicht ohne Gefahr nachzuschicken.
    Pitt war ihnen dankbar. Hätten sie indes ihre Drohung ausgeführt, so hätte er sein Verhalten auch nicht geändert. Er lebte, wie es ihm gefiel und wie es ihm gemäß war. Alles, was er tat, war selbstverständlich. Inmitten von Menschen, die sich binden ließen durch tausend alte und neue Konventionen, benahm er sich als einziger natürlich; infolgedessen wirkte er unnatürlich, als Ausnahme. Doch da er keinem zur Last fiel, ließ man ihn gelten, wie er war, und er war beliebt, wohin er kam.
    Mit Sepp Trautwein hatte er sich sehr angefreundet. Zwar nahm Sepp Trautwein seinen Kampf für die Herstellung derursprünglichen Reinheit der klassischen Musik nicht so ernst, wie er selber es tat, aber Peter Dülken spürte, wieviel Musik in Sepp war. Pitt glaubte an ihn, er erwartete Großes von ihm, aber er verstand aus eigenem Erleben heraus, warum sich Sepp trotzdem von seiner Musik ab- und dem Kampf gegen die Barbaren zugekehrt hatte. Er hielt weit über alle Kollegialität hinaus gute Freundschaft mit Sepp, eine Freundschaft, deren Herzlichkeit sich dieser mehr gefallen ließ, als daß er sie erwiderte.
    Als Peter Dülken jetzt hörte, was sich ereignet hatte, machte er keine langen Worte. »Das ist stark«, war alles, was er sagte. Dann ging er in dem großen Redaktionsraum herum, nachdenklich, manchmal die braunen Haare aus der Stirn schüttelnd, wie immer, wenn ihn was bewegte. Dann stieß er wieder zu den andern. Auf seine schlacksige Art, doch sehr bestimmt, stellte er fest, es sei ausgeschlossen, daß man in Güte etwas von Gingold erreichen könnte. Mit allgemeinen Reden aber sei nichts getan. Die gesamte Redaktion müsse sich entschließen, zu streiken, wenn nicht binnen vierundzwanzig Stunden die Entlassung Sepps rückgängig gemacht sei. Ein anderes Mittel gebe es nicht.
    In ihrem Innern hatten sie alle gewußt, daß das der einzige Weg war, aber keiner hatte den Mut gehabt, es laut zu sagen. Wie jetzt Peter Dülken in seiner etwas pomadigen und doch sehr bestimmten Manier das Wort Streik aus seinem großen Jungensmund herausließ, erhob sich in den Redakteuren die Furcht vor den Fährnissen, die sie mit dem

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