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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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bitter die Ratschläge des Vaters. Julian Zarnke entbehrte die Gelegenheit, seine Geschicklichkeit zu zeigen im Ersinnen juristischer Drehs, in der Behandlung von Richtern und Parteien, er entbehrte Berlin, sein Moabit.
    Die Sache der »Pariser Nachrichten« war ein Fall nach seinem Herzen. Hier konnte man einer Partei, die das innere Recht für sich und den Buchstaben des Gesetzes gegen sich hatte, zum Sieg verhelfen, sympathischen Leuten gegen einen Gauner und Widerwart; vor allem dieser junge Mensch, dieser Peter Dülken, mit seiner lockern, unsentimentalen Auffassung von Realität, gefiel ihm.
    »Und wenn Gingold das Ultimatum nicht annimmt und die ›P. N.‹ eingehen läßt?« fragte er interessiert. »Was wollen Sie dann tun?« – »Dann müßten wir versuchen, ein eigenes Blatt aufzumachen«, meinte ächzend Pfeiffer, und Zarnke wußte nicht, ob er das Ächzen auf das Asthma des Mannes oder auf sein Unbehagen vor der schwierigen Aufgabe zurückführen sollte. »Nicht gerade erbaulich, ein solcher Zwist in der Emigration«, erwog Zarnke. »Ein Fressen für die Nazi. Übrigens auch reichlich kostspielig.« Berger, trüb, stellte fest: »Gingold hat die Produktionsmittel, wir haben die Menschen.« – »Da muß man ihm eben die Produktionsmittel nehmen«, faßte sachlich und frech Peter Dülken zusammen, stand seinesteils auf und lief hin und her, schlacksig, die störenden Haare aus der Stirn werfend, voll verbissenen Nachdenkens. »Eine ausgezeichnete Idee«, höhnte Berger. »Wir brauchen Hitler nur das Dritte Reich zu nehmen, dann ist der Nationalsozialismus erledigt.« – »Ich denke mir das so«, erklärte Pitt seinen Plan, ohne auf Bergers Spott einzugehen. »Wir führen das Blatt auf eigene Rechnung weiter, unter leicht verändertem Titel. Die Abonnentenlisten haben wir. Der Druckerei ist es bestimmt gleichgültig, für wessen Rechnung sie druckt, wenn der Auftraggeber nur zahlt. Die Abonnenten werden weiter beliefert; die kümmern sich bestimmt nicht darum, wer der Besitzer des Blattes ist, das Konsortium Gute Hoffnung oder die Verlagsgesellschaft Rebbach. Unsere neuen ›P. N.‹ oder ›P. P.‹, oderwie immer wir sie nennen wollen, sitzen bestimmt nach zwei Nummern so fest im Sattel, daß man gar nicht mehr daran denken wird, daß sie einmal ›P. N.‹ geheißen haben.«
    Berger und Pfeiffer grinsten ironisch. Der Justizrat war bekannt wegen seines Sinnes für die Wirklichkeit, die beiden freuten sich schon darauf, wie saftig er den kleinen Pitt und sein albernes Projekt abtun wird. Aber: »Das wäre ein Husarenstreich«, meinte lediglich Zarnke, blieb vor Pitt stehen und schaute ihm, den dicken, schwarzen Schnurrbart mechanisch streichend, nachdenklich in die Augen. Dann begann er zu lächeln und erzählte eine seiner Anekdoten. »Kam da einmal in Czernowitz ein alter Jud mit einem mächtigen weißen Bart an die Theaterkasse, legte den Arm vor seinen Bart und verlangte: ›Geben Sie mir eine Studentenkarte.‹« – »Und?« fragte erwartungsvoll Pfeiffer. »Er hat sie gekriegt«, schloß Zarnke.
    Alle lachten. »Die Hauptfrage bleibt«, sagte Zarnke, »wo nehmen Sie das Geld her?«
    »Etwas Geld könnte ich beschaffen«, erklärte nach einigem Nachdenken Pitt. »Es ist ein Interessent da für mein Händel-Manuskript. Da wäre Zaster zu holen. Ich müßte mich dann eben für meine Arbeit mit einer Photographie begnügen; andere müssen das auch.« Pfeiffer und Berger schauten freundlich bewegt auf Pitt. Sie machten sich oft lustig über seine Passion, aber sie wußten, es kostete ihn Herzblut, die Händel-Urschrift herzugeben. Dem Justizrat hatte das lockere, flachsige, pomadig energische Wesen Peter Dülkens, seine treuherzige Verschlagenheit von Anfang an gefallen; seine Opferbereitschaft gewann ihn vollends. »Auch ich«, versprach er, »werde mich bemühen, Geld zu beschaffen.«
    »Willst du noch eine Tasse Kaffee?« mischte sich jetzt energisch die Kusine ein, die bisher stumm, aber aufmerksam zugehört hatte. Zarnke hatte Kusine Sofie zu sich genommen, daß sie ihn betreue und vor Unbesonnenheiten zurückhalte. Zarnke war gutartig und leicht entzündlich, er sagte schnell ja, und außerdem liebte er es, sein schnoddriges Mundwerkachtlos spazierengehen zu lassen. In solchen Fällen mußte ihn Sofie mahnen. Manchmal glückte es, aber häufiger erwiderte er: »Ich sehe schon, Sofiechen, ich bin wieder im Begriff, eine Dummheit zu machen, aber dies eine muß ich doch noch sagen«, worauf er die

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