Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
grüne Jantje blieben wieder allein.
Eigentlich war sie gekommen, weil sie, zum erstenmal seit Jahren, seine oft angebotene Hilfe in Anspruch nehmen wollte. Man hatte ihr vorgeschlagen, ihr Wiener Büro mit einem andern, ähnlichen, größeren zu fusionieren, zu Bedingungen, die ihr günstig schienen, aber sie brauchte einen Kapitalzuschuß. Sie hatte gehofft, Franz werde ihr aushelfen können, aber sie war offenbar im unrechten Moment gekommen.
Sie sieht ihn sitzen, müd, alt, zu seinen Häupten hängt das Liebermann-Porträt, das einzige, was Greta aus dem Kleinpeterschen Familienbesitz geblieben ist. Brigitte hat bisher in ihrem Franz, ob sie mit ihm zusammen lebte oder vom ihm getrennt war, immer den Grandseigneur dieses Porträts gesehen,den stolzen, jovialen, selbstsicheren, großspurigen Herrn, liebenswert in seinem ewigen Optimismus, liebenswert, gerade weil er sich und andern immer so impulsive, unhaltbare Versprechungen macht. Was aber jetzt da vor ihr hockt, dieser Mann mit den müden, blutunterlaufenen Augen, mit den großen, schlaffen Händen, ach, dieser Mann, dem der stichelhaarige Kopf so weiß und erschöpft vornüberhängt, hat wenig mehr gemein mit dem Mann des Porträts. Beinah erschüttert sie die Erkenntnis. Sie liebt den Mann darum nicht weniger; im Gegenteil, daß er sich heute vor ihr so klein gibt und nicht wie sonst hundert prunkvolle Pläne vor ihr ausbreitet, erfüllt sie mit Mitleid und ungewohnter Zärtlichkeit. Mit einem grimmigen innern Lächeln stellt sie fest, daß es sinnlos wäre, von ihrem Anliegen überhaupt nur zu beginnen; er ist zur Genüge zerzaust und zerrauft, sie will ihn nicht noch mehr beschämen.
Man hat nicht mit ihm auskommen können wegen seiner großspurigen Art, und weil er auf jeden neuen Regenbogen hereinfiel und ihn mit ungeheurem Elan hat beschreiten wollen. Aber gerade darum hat sie ihn geliebt. Jetzt, da er sich offenbar geändert hat, steigt eine große Hoffnung in ihr hoch; vielleicht wird man doch wieder zusammen leben können, ein prächtiger Franz Heilbrun, aber gedämpft, weil er was abgekriegt hat, und eine energische Jantje in Grün, die ihm zuweilen unbequem wird, aber auf die er hört.
Sie sieht die alten, vertrauten Möbel, in denen sie so viele Jahre ihres Lebens verbracht hat, und das Herz wird ihr warm. Aber dann ruft sie sich energisch zurück. Wie oft hat sie geglaubt, er habe sich geändert, aber es hat immer nur Enttäuschungen gegeben. Nun, da sie endlich klug geworden ist, darf sie nicht rückfällig werden; sie weiß, daß ein neuer Versuch eines Zusammenlebens nicht gut ausgehen würde.
Seufzend beschied sie sich. Was sie im Augenblick tun kann, ist einzig und allein, dem arg zerrütteten Mann gut zusprechen. So wie er jetzt ist, kann sie ihn nicht sitzenlassen. Da wäre es besser, er machte den Pfau vor ihr wie früher. Aufvorsichtige Art also, Tadel und Zuversicht geschickt dosierend, suchte sie ihm aus seinem Zusammenbruch aufzuhelfen.
Bald gewann er auch wieder ein bißchen von der alten Frische zurück. Spielte sich vor Brigitte auf. Machte sich daran, in ihrer Gegenwart Gingold Bescheid zu sagen. Hob den Hörer ab, verlangte Gingold. Kaum hatte der erkannt, wer am Apparat war, da begann er schon mit hastiger, häßlicher Stimme: »Endlich. Also, Sie nehmen an. Ich habe ganz vergessen: ich bin natürlich bereit, Sie für die Mehrleistung gebührend zu entschädigen. Ich schlage Ihnen eine Gehaltserhöhung von dreißig Prozent vor. Sie sagen ja, lieber Heilbrun?« – »Ich sage nein«, antwortete Heilbrun kräftig und nicht einmal besonders großartig, »ich schließe mich dem Ultimatum der andern an.« Und er hängte ein, ehe Gingold erwidern konnte.
»Na, Jantje in Grün«, sagte er dann zu Brigitte und faßte sie um die Taille, gutmütig, vertraut und voll skeptischen Wissens um sich selber. Sie aber schaute von dem Franz Heilbrun in Fleisch und Blut auf den Mann des Liebermann-Porträts, und schon schien ihr der Unterschied geringer.
4
Ein Husarenstreich
Die Herren Pfeiffer, Berger und Peter Dülken hatten, einander ablösend, alles vorgebracht, was zur Beurteilung ihrer juristischen Situation wichtig sein konnte. Nun schauten sie auf Justizrat Zarnke, gespannt, was der ihnen sagen werde.
Zarnke war auf und ab gegangen, gut zuhörend, Zigarrenasche achtlos auf den Teppich streuend; manchmal war er unvermittelt stehengeblieben und hatte dem jeweils Sprechenden mit seinen großen, aufmerksamen, braunen Augen ins Gesicht
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