Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
gestarrt. Jetzt ging er an den Kaffeetisch, goß sich einen Kirsch ein, trank, faßte zusammen: »Die ganze Angelegenheit liegt offenbar so, daß ihr moralisch im Recht seid, der alte Gingoldaber juristisch.« – »Genauso habe ich mir’s auch gedacht«, meinte melancholisch Berger. Aber: »Gerade darum sind wir ja hier«, erklärte Peter Dülken und schaute, verschmitzt lachend, dem Justizrat ins Gesicht. »Der gute Anwalt ist dazu da, der guten Sache gegen die schlechten Gesetze zum Recht zu verhelfen. Recht ist, was dem alten Gingold schadet.«
Zarnke lachte. Die Unterredung wurde behaglich geführt und keineswegs wie eine ernsthafte Konferenz; der Justizrat liebte es, den Besprechungen mit seinen Klienten den geschäftlichen Anstrich zu nehmen. Man saß behaglich beim Kaffee, auch Zarnkes Kusine Sofie war da, vor der er keine Geheimnisse hatte. Die Besprechungen mit Zarnke pflegten lange zu dauern, er liebte Umwege, Abschweifungen, erzählte Anekdoten; »mir liegt am Saft mehr als am Braten«, pflegte er zu sagen. Doch auch die Eiligen nahmen diese seine Launen hin; er war nicht nur ein ausgezeichneter Jurist, sondern wußte häufig darüber hinaus guten, schlauen Rat und verstand es, am Schluß langwieriger, unsachlicher Unterredungen die Sachlage mit Präzision zu resümieren.
So auch heute. »Ihre Verträge«, erklärte er, »sind natürlich erloschen von dem Augenblick an, in dem Sie in den Streik treten. Wenn ich Sie recht verstehe, nehmen Sie es in Kauf, sich formal ins Unrecht zu setzen.« – »Ja«, erwiderte Pfeiffer.
Zarnke wiegte den fleischigen Kopf mit dem dicken Schnurrbart, dessen starke Schwärze durch Kunst hergestellt schien, und schaute die drei Herren an. Doch so zweifelnd und besorgt seine Geste war, die vollen Lippen lächelten. Er begann, der kleine, geschwinde, betuliche Herr, wieder auf und ab zu laufen, auf sehr platten Füßen, er versank in dem dicken, mit Asche überstreuten Teppich, er ruderte mit den Armen, es war wie Wassertreten. Die Sache der Redakteure gefiel ihm. Die Emigration hatte etwas Resigniertes, Stagnierendes; es tat wohl, auf Menschen zu stoßen, die handelten, die zum Angriff bereit waren.
Julian Zarnke hatte nur wenig politische Interessen, aber er war voll von einem saftigen Haß gegen die Nazi. Er hatteGrund dazu. Er selber war der Sohn eines »arischen« Vaters und einer jüdischen Mutter und durfte, seitdem die Nazi an der Macht waren, als »Mischling« nicht mehr vor Gericht plädieren. Wohl aber durfte das sein Sohn Robert, den er als Sozius in seine Kanzlei aufgenommen hatte; denn der hatte nur einen einzigen jüdischen Großelternteil, nämlich Julian Zarnkes Mutter, und galt daher dem Dritten Reich bereits als »Dreiviertelarier«. Nun hatte aber Vater Zarnke die Begabung, Zarnke junior nur das fast richtige Blut. In der ersten Zeit hielten sie es so, daß Julian Zarnke die Plädoyers ausarbeitete und den Sohn auch sonst beriet, und wenn sein Robert plädierte, dann war Julian häufig in Moabit, dem Zentrum der Berliner Justizpflege. Er liebte die Luft Moabits.
Nun war aber der Verkehr des jungen Zarnke, des beamteten »Fast-Ariers«, mit seinem Vater, dem »Nichtarier«, den Behörden des Dritten Reichs unerwünscht. Robert Zarnke legte also seinem Vater nahe, sich nicht in Moabit zu zeigen, wenn er plädierte. Doch Julian Zarnke hörte schlecht auf diesem Ohr, er liebte sein Moabit, er konnte ohne die Luft von Moabit nicht leben. Es kam zu Streitigkeiten zwischen Vater und Sohn. Der törichte Sohn setzte dem begabten Vater immer heftiger zu, seine unwillkommenen Besuche im Gerichtssaal zu unterlassen. Vater Zarnke war ein weiser Mann, er hatte, der große Anwalt, tief in das Getriebe menschlicher Torheit hineingeschaut, er hatte Sinn für den Ehrgeiz seines Jungen. Wenn ihn der aus Karrieregründen verleugnet hätte, das hätte er hingenommen; aber Robert Zarnke verleugnete den Vater weit über die Notwendigkeit hinaus, er wollte ihn verstecken, aus der Öffentlichkeit vertreiben, in die Hinterstube zwingen. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn wurde absurd, Julian Zarnke hielt es für geraten, Berlin zu verlassen.
Jetzt also lebte er in Paris, äußerlich nicht schlecht, denn er hatte einen Teil seines Vermögens rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Er tat, als fühlte er sich wohl. Aber glücklich waren beide nicht, Julian nicht in Paris und Robert nicht in Berlin. Der Junge fühlte sich den Aufgaben seiner Kanzlei nicht gewachsenund entbehrte
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