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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Kokettieren aus seiner Verstörtheit herauszureißen versucht; die Ilse von heut ahnte, was in ihm vorging, und ließ ihn bald allein.
    Er blieb zurück in zorniger Verwirrung. Sehr anders als vor einer halben Stunde erschien ihm jetzt, was er in diesen letzten zwei Jahren getan hatte. Wie ein kleiner, streberhafter Schuljunge hat er sich vorgedrängt zu einer fakultativen Aufgabe, zu einer »Fleißaufgabe«, die ihn im ersten Augenblick gelockt hat, der er aber von Anfang an nicht gewachsen war. Und das, was er konnte, das, wozu er geboren war, hat er darüber preisgegeben, vielleicht für immer. Denn jetzt ist ihm gezeigt worden, daß es für ihn keinen Ausweg mehr gibt. »O weh, wie sind verschwunden alle meine Jahr«, das war vielleicht sein letztes Lied.
    Jene dumme und beängstigend geisterhafte Erscheinung Friedrich Benjamins war plötzlich wieder da, höhnisch, jene kleine, geisterhafte Musik. Nein, mit diesem Fritzchen ist nicht zu spaßen, dieses Fritzchen läßt nicht mehr locker, dieses Fritzchen steht auf seinem Schein. Was für ein Narr ist er gewesen, daß er sich das eingebrockt hat mit dem Kampf um Friedrich Benjamin. Der hat ihn mitgenommen in sein verdammtes Beisel Coq d’Argent und hat ihm zu essen gegeben, es hat ihm nicht einmal besonders geschmeckt, und er, Sepp, hat seine Kunst und seine Freiheit verkauft für ein Linsengericht im Coq d’Argent.
    Seit dem Besuch Ilses wußte er’s mit quälender Sicherheit: er kann nicht mehr los. Da hat er den Mut aufgebracht, Peter Dülken gegenüber zwei Minuten grob zu sein. Das war etwas, das hat Entschluß gekostet, aber leider ist dieser Entschluß zu spät gekommen. Damals, als Fritzchen was von ihm verlangte, damals hätte er den Schneid aufbringen müssen, nein zu sagen. Aber damals hat er’s nicht getan und hat sich dadurch selber eine gute, solide Kette angelegt für immer. Ein schönes Rindvieh ist er gewesen. Denn jetzt hält ihm Friedrich Benjamin seinen Schein vor, Tag und Nacht, und er mußsein Letztes für ihn hergeben. Wenn er das nicht täte und wenn Fritzchen dann umkommen sollte, dann wäre er schuld an seinem Untergang, und es wäre eine Schuld, die ihm sein ganzes späteres Leben keine ruhige Minute mehr ließe.
    Er fragte sich, was es wohl sein mochte, was ihn mit diesem Friedrich Benjamin so unlöslich verband. Wie er darüber nachgrübelte, stiegen ihm gegen seinen Willen Erinnerungen auf, scheußliche Erinnerungen an die Front, Alpträume von Todesangst und Vernichtung. Er hatte, nachdem er aus dem Krieg zurückgekehrt war, diese wüsten Erinnerungen tief hinuntergedrückt, daß sie ihn nicht mehr behelligten. Friedrich Benjamin aber hatte seinen ungeheuern Haß gegen alles Militärische von der Front mit in die Heimat gebracht, hatte ihn konserviert, und in dem Kampf gegen das Absurde, Unmenschliche des Krieges, in dem Kampf für den ewigen Frieden sein Leben riskiert. Hatte, von Anfang an, wissend um den mikroskopisch kleinen Fortschritt, den da im besten Fall der einzelne erzielen kann, trotzdem sein Leben an dieses utopische Unternehmen gesetzt. Vielleicht war es deshalb, daß sich ihm Sepp so verschuldet fühlte.
    Aus welchen Gründen immer, die Verpflichtung ist da, er kann sich nicht drücken, er wird nie mehr Musik machen können, wenn er sich jetzt drückt. Peter Dülken hat recht gehabt, als er ihm, wissend und mitleidig, geraten hat, bei ihnen zu bleiben. Es gibt keinen andern Ausweg.
    Sepp beschloß, auf der Redaktion der »P. D. P.« zu arbeiten, bis der Fall Benjamin entschieden sei.
    Am Abend dieses Tages, es war jetzt eine Woche nach Annas Tod, zog Sepp die Uhr auf, die schöne, aus München gerettete. Das war das letztemal, daß er Annas Bild leibhaft aus dem Nichts beschwören konnte. Von jetzt an wird ihm ihre Gestalt und ihre Stimme nichts mehr sein als Erinnerung.
    Dann teilte er der Redaktion der »P. D. P.« telefonisch mit, er werde also von morgen an da sein wie gewöhnlich; er sagte das beiläufig, als ob es nichts bedeutete.
    Dennoch verdroß es ihn, als die andern ihn am Vormittag darauf zwar herzlich begrüßten, aber nichts weiter von seinem Wiedererscheinen hermachten. Auch Peter Dülken begnügte sich, ihm die Hand zu drücken, und sagte nur. »Da sind Sie also, Sepp.«
    Die neuen Räumlichkeiten der »P. D. P.« waren nicht so weit und leer wie seinerzeit die der »P. N.«, aber vielleicht noch nüchterner, trostloser. Sepp suchte mit dem Blick den abgenutzten Schreibtisch, an dem einmal

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