Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Friedrich Benjamin und an dem zuletzt er gearbeitet hatte. Der Schreibtisch konnte natürlich nicht da sein, er war in den Räumen der »P. N.« verblieben, bei Gingold; Sepp war froh, daß er nicht da war, und gleichzeitig vermißte er ihn.
Heilbrun kam, um Sepp zu begrüßen. Er hatte seit seinem Verrat Sepp nur bei Annas Einäscherung gesehen; er hatte ihm damals die Hand gedrückt, Sepp hatte es geschehen lassen, so stumpf, daß Heilbrun nicht gewußt hatte, ob er ihn überhaupt wahrnehme. Jetzt wird es wohl zu einer Aussprache kommen. Heilbrun hatte Angst vor dieser Aussprache, gleichwohl wünschte er sie, ja, er sehnte sie herbei. Es drängte ihn, Sepp zu sagen, daß er mittlerweile eingesehen habe, was er ihm angetan, und daß er Schuld auf sich geladen habe; dabei bespöttelte er sich wegen dieser Dostojewskischen Anwandlung.
Heilbrun hatte jetzt oder er hatte zumindest heute etwas merkwürdig Gedämpftes, es war, als habe er eine Sordine aufgesetzt. »Ich hätte vielleicht schon früher mit Ihnen reden sollen, Sepp«, sagte er, »und Ihnen darlegen, wie das alles gekommen ist. Ich weiß jetzt, daß ich mich nicht richtig benommen habe.« – »Nicht richtig benommen haben Sie sich, Heilbrun«, erwiderte Sepp, bösartig trocken. »Aber es war gut für Sie, daß Sie nicht gekommen sind. Ich hätte Sie nämlich höchstwahrscheinlich hinausgeschmissen. Übrigens, ich sag es, wie es ist, ich hör es jetzt nicht sehr gern, wenn Sie mich Sepp nennen. Es gefällt mir nicht. Sagen Sie Trautwein zu mir, wie ich zu Ihnen Heilbrun sage.«
Daß Sepp so grimmig dahersprach, erleichterte Heilbrun.»Ich will keine langen Worte machen«, erwiderte er und vermied es, den andern Sepp oder Trautwein zu nennen. »Ich könnte sagen, daß auch Sie einen Teil der Schuld haben und daß das Ganze eher eine Verkettung ungünstiger Umstände war. Aber ich will mich nicht auf billige Art herausreden, das wäre schofel. Ich habe mich Ihnen gegenüber schlecht benommen, das tut mir leid, und ich bereue es. Und wenn ich jetzt in der gleichen Situation wäre, dann täte ich es kein zweites Mal. Aber vielleicht sind gewisse Umstände da, die meine Schuld geringer erscheinen lassen«, und er erzählte ihm die Geschichte von Greta.
»Wenn ich mich sehr anstrenge«, antwortete Sepp, »begreife ich Ihre Handlungsweise. Aber ich finde doch, sie war schlecht, sie war eine Schufterei. Alles begreifen heißt bei mir keineswegs alles verzeihn. Ich bin nicht rachsüchtig, aber ein Urchrist bin ich auch nicht. Ich habe eine Mordwut gegen Sie gehabt, darüber bin ich noch lange nicht hinweg, und es wäre ein Unrecht gewesen, wenn ich allein die ganze Zeche hätte zahlen sollen und Ihnen wäre alles gut hinausgegangen. Offen gestanden, es ist mir eine Genugtuung, daß auch Sie einiges Bittere zu schmecken bekommen haben. So, und nachdem wir uns jetzt über unser persönliches Verhältnis im klaren sind, gehen wir an die Arbeit.«
Und Sepp machte sich daran, seinen ersten Beitrag für die »P. D. P.« zu schreiben, einen grimmigen Artikel darüber, wie das Dritte Reich die Verhandlungen vor dem Schiedsgericht über den Fall Benjamin hinauszuzögern suche.
7
Telefongespräche in der Sommerfrische
Als Herr Gingold die erste Nummer der »P. D. P.« zu sehen bekam, verzerrte er sich, wütete, sank in stumpfe Verzweiflung, raste von neuem. Er verglich die Nummer der »P. D. P.«mit der Nummer der »P. N.«, die sein Hermann Fisch ihm zusammengestoppelt hatte. Wie dürftig sahen diese seine »P. N.« aus in ihrer neuen Aufmachung, wie gerupft, verglich man sie mit der »P. D. P.«. Ein Haufe uninteressanter, schlechtgeordneter, unrevidierter, kaum kommentierter Nachrichten, das war seine Zeitung. Das schiere Nichts. Es war zu Ende mit ihm. Das Erscheinen dieser »Pariser Deutschen Post« besiegelte die Vernichtung seines Kindes, seines Hindele.
Auf der kahlen Redaktion hatte er eine Unterredung mit Hermann Fisch. Der wollte aufgeben. Es war aussichtslos, den Laden unter diesen Umständen fortzuführen; man beschmutzte nur sich selber, wenn man sich weiter mit diesen anrüchigen »P. N.« abgab. Aber Herr Gingold redete auf ihn ein, er ließ nicht ab, in einem Atem überhäufte er Hermann Fisch mit Bitten und Beschimpfungen. Der mußte die »P. N.« weiterführen, die »P. N.« mußten diese freche, dumme, schamlose Konkurrenz kaputtmachen. »Strengen Sie sich an, mein lieber, guter, verehrter Hermann Fisch«, knarrte und winselte er auf ihn ein.
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