Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Paris mit einem schönen Titel zu repräsentieren; Einfluß oder gar Macht brauchte man ihm nicht einzuräumen. Wiesener seinesteils stand hoch in Ehren bei allen, auf die es ankam. Die Berliner Herren ersahen aus seinen Artikeln mit Behagen, daß man im Grunde doch recht kultiviert war, kultivierter, als man selber angenommen hatte, und man war geneigt, dem Schreiber dieser erfreulichen Artikel vieles durchgehen zu lassen.
Spitzi stellte sich, sowie Heydebregg ihn vorließ, bei ihm ein. Er trug ihm das Projekt seines »Pressefriedens« vor. Heydebregg hörte still zu, die fast wimperlosen Lider halbgeschlossen. In seinem Innern aber arbeitete es. Zuerst, genau wie Spitzi vermutet hatte, dachte er: Olle Kamellen, haben wir schon zwanzigmal gehabt. Dann aber, als Spitzi mit seiner Idee kam, den Umweg über England zu nehmen, konnte Heydebregg nicht umhin, den Schmiß und die Schlauheit dieser Lösung anzuerkennen. Es war das sogenannte Ei des Columbus. Dieser von Gehrke hatte es in sich.
Während Heydebreggs Verstand auf solche Art die Qualitäten Herrn von Gehrkes objektiv wertete, brachte sein Herz alles vor, was gegen diesen von Gehrke sprach. Wenn man den an wichtige Aufgaben heranläßt, wenn man dem Macht gibt, was zum Beispiel wird dann aus unserem Wiesener? Herr von Gehrke wird seinem Haß keine Zügel anlegen. Nein, er, Heydebregg, darf Wiesener, der trotz seines Pechs ein fähiger und sympathischer Bursche ist, nicht unbeschützt der Willkür des andern überlassen. Er hat einfach die Pflicht, zu verhüten, daß Unheil entsteht, wenn er selber erst aus Paris fort und nicht mehr in Reichweite ist. Er muß vorsichtig sein in der Verteilung der Vollmachten. Er darf nicht vergessen, daß von Gehrke durch seinen Einfall Führereignung bewiesen hat, darf aber auch Wiesener nicht preisgeben.
Spitzi, während Heydebreggs Herz und Hirn dergestalt in Widerstreit lagen, sprach weiter. Er berichtete jetzt von den Schritten, die er in London getan hatte, mit Ermächtigung des Botschafters selbstverständlich.
Damit aber hatte er verspielt, und die Waagschale, die so lange in der Schwebe geblieben war, senkte sich jetzt endgültig zugunsten Wieseners. Es nützte Spitzi nichts, daß er sein »mit Ermächtigung des Botschafters« bagatellisierte und daß er zu verstehen gab, er habe des Botschafters und nicht Heydebreggs Erlaubnis nur deshalb eingeholt, weil er den Parteigenossen nicht hatte erreichen können. Es nützte ihm auch nichts, daß er in London unbezweifelbare Erfolge gehabt hatte. Ja, hätte er diese Erfolge mit Heydebreggs Zustimmung eingeheimst, dann hätte er dadurch Wiesener aus dem Sattel gehoben. Daß er aber nicht gewartet hatte, daß er so wichtige Schritte ohne Vollmachten von seiten der Partei unternommen hatte, das war eine sogenannte Provokation, Herr von Gehrke war erledigt.
Heydebregg, während sich dies alles innerhalb seines Schädels abspielte, saß weiter fast bewegungslos auf dem kleinen, blauen Samtstuhl des Hotels Watteau, zu Füßen des Führers, die mächtigen Hände auf den Schenkeln, in der Haltung einer ägyptischen Königsstatue. Langsam, nachdem Spitzi zu Ende war, öffnete er die Lider, und, die fast weißlichen Augen starr auf den andren gerichtet, sagte er: »Ich danke Ihnen für Ihren Bericht, Parteigenosse. Ihr Projekt hat viel für sich. Auch die Einsatzbereitschaft ist lobenswert, mit der Sie sich sogleich an die Ausführung machten.«
Heydebreggs Stimme klang teilnahmslos wie stets. Auch höchster Anerkennung hätte das Nilpferd kaum in andern Worten Ausdruck gegeben. Spitzi indes, mit seiner aufs äußerste geschärften Witterung, spürte, daß Heydebregg Provokation meinte, wenn er Einsatzbereitschaft sagte. Allein seinem strahlenden Antlitz war der Grimm über die Voreingenommenheit des Nilpferds sowenig abzulesen wie der starren Miene Heydebreggs seine Ablehnung.
Kaum aber war Heydebregg allein, da zeigte sich auf seinem steinernen Gesicht ein Lächeln. Es kam ihm gelegen, was dieser von Gehrke während seiner Abwesenheit angestellt hatte. Die Partei durfte zufrieden sein mit dem, was der Bursche in London ausgerichtet hatte, und ihm selber, Heydebregg, kam es zupaß. Er wußte jetzt, wen er mit der interessanten Aufgabe zu betrauen hatte, die er aus Berlin mitbrachte.
Dort nämlich plante man einen Frontalangriff gegen die ausländische Presse. Anläßlich des bevorstehenden Parteitags der Nationalsozialisten wollte man an allerhöchster Stelle die
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