Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
erwiderte sie. »Das ist kein Anfang. Das ist ein Ende.« Und da er sich nun doch leicht rötete und die Kaffeetasse absetzte, fuhr sie fort: »Es hat keinen Sinn, etwas abzuleugnen, Erich. Ich weiß schon, Sie haben das Lamm des Armen nicht gestohlen, es ist Ihnen im letzten Augenblick entwischt. Auch war das Lamm vielleicht nichteinmal so sanft, wie ich glaubte. Aber Sie haben das Lamm stehlen wollen, und Sie haben einiges Unheil angerichtet. Strengen Sie sich nicht an«, sprach sie weiter, da er entgegnen wollte. »Rechtfertigen Sie sich nicht, es würde Ihnen nicht gelingen. Dies ist eine Abschiedsszene, Erich. Machen Sie sich das klar, und verderben Sie sich nicht Ihren Abgang.«
In Wieseners Innerem stürzte viel zusammen. Er hatte gewußt, daß einem nichts geschenkt wird und daß er dem Schicksal die neue Gunst Heydebreggs werde bezahlen müssen. So machte er nicht erst lange Versuche, sie umzustimmen. Was ihn im Augenblick am meisten kratzte, das war, daß sie ihm mit so höhnischer Ruhe den Abschied gab. Er wollte nicht aus dem Hause gehen wie ein Diener, den man über einem Diebstahl ertappt und davonjagt. Er mußte sie herauslocken aus ihrer Gelassenheit; sie sollte wüstes, sinnlos wütendes Zeug daherreden. Wenn er schon von ihr gehen soll, dann lieber mit Worten ihres Hasses im Ohr als mit Worten so ruhigen Hohnes.
»Ich weiß nicht, wer mich bei Ihnen verleumdet hat, Lea«, antwortete er, »und was für albernes Geklatsch man Ihnen wieder einmal zugetragen hat. Sie erwarten vielleicht, mich in Wut zu sehen. Verzeihen Sie, diesen Gefallen tu ich Ihnen nicht, ich bin nicht in Wut. Sie haben mir in letzter Zeit zu oft Szenen gemacht, Sie haben mir zu oft Anschuldigungen an den Kopf geworfen, für die Sie keine Beweise haben. Sie schreien nicht, das geb ich Ihnen zu, Sie machen es mit Geschmack wie alles, was Sie tun, aber trotzdem: jede Geste und jedes Wort verrät Ihre Erregung. Sie haben es offenbar nötig, sich zuweilen innerlich Bewegung zu schaffen; aber, entschuldigen Sie, Lea, ich tue da nicht länger mit. Ich lehne es ab, bei diesen Szenen Ihr Partner zu sein. Offen gestanden, nicht einmal Sorgen mach ich mir darüber. Ich bin sicher, Ihr Zorn wird genauso schnell verrauchen, wie er gekommen ist.«
»Ich habe Ihnen Anlaß gegeben zu solchen Vermutungen«, entgegnete sie in immer demselben gleichmütig höflichen Ton. »Ich habe mich immer wieder von Ihnen beschwatzenlassen, gegen mein besseres inneres Wissen. Ich habe A und B gesagt und auch K und L, aber M sage ich nicht mehr. Verlassen Sie sich darauf, Erich, ich sag’s nicht mehr. Zuletzt bin ich geflohen, weil ich einfach nicht die Kraft hatte, Ihnen zu sagen: gehen Sie. Jetzt hab ich die Kraft, jetzt sag ich es Ihnen. Gehen Sie, Erich, und kommen Sie nicht wieder.« Und da er keine andere Antwort hatte als ein leises, spöttisches Lächeln, spielte sie ihren Trumpf aus: »Dazu brauche ich Sie übrigens nicht erst aufzufordern. Sie werden schon von selber fernbleiben. Nächster Tage wird Sepp Trautwein bei mir ein Konzert geben.«
Jetzt verschlug es dem sonst so zungenfertigen Wiesener doch die Sprache. Er starrte sie an, sein Gesicht schaute keineswegs mehr gleichmütig aus, auch keineswegs mehr spöttisch. »Das soll ich dir glauben?« gab er nach einer Weile zurück, seine Stimme klang bösartig vulgär wie manchmal die Stimmen der nationalsozialistischen Redner im Rundfunk. »Das ist doch Unsinn, was du mir da vormachen willst. Gestern hast du von alledem noch nichts gewußt. Gestern war alles eitel Freundschaft und blauer Himmel, und heute, ohne mir vorher ein Wort zu sagen, willst du dich zur Schutzpatronin der Schmöcke aufgeworfen haben? Der Leute, die dich nicht weniger beleidigt haben als mich? Das mach gefälligst einem andern weis.«
Erst jetzt bedachte Lea, daß dieser Sepp Trautwein ja wirklich zu jenen gehörte, die den Artikel gegen sie geschrieben hatten. Doch sie sagte sich, Monsieur Pereyro wisse genau, was sie tun könne und was nicht, ihre Bedenken zerstoben, kaum gekommen, und es blieb nur die Genugtuung darüber, wie tief sie ihn getroffen hatte. »Sehen Sie, Monsieur Wiesener, das überrascht Sie«, sagte sie, immer noch höflich und beherrscht. »Das paßt nicht zu dem Bild, das Sie sich von mir gemacht haben. Sie werden gut tun, noch eine Reihe von Illusionen abzubauen; sonst werden Sie noch mehr Überraschungen erleben. Ich habe die Brücken hinter mir abgebrochen, ich habe mich zur Patronin der Schmöcke
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