Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Lügenhaftigkeit dieser ausländischen Presse vor aller Welt brandmarken; insbesondere wollte man die zahlreichen Meldungen über die Barbarei und die innere Brüchigkeit des Regimes als das entlarven, was sie waren, nämlich als gemeine Lügen, als Greuelmärchen. Nun aber entsprachen leider die meisten dieser Meldungen, wenn man sie nicht mit den Augen eines Nationalsozialisten betrachtete, der Wirklichkeit. Man brauchte also, und zwar aus sogenannten zuverlässigen Blättern, Meldungen, von denen man nachweisen konnte, daß sie erfunden waren, um an ihnen entrüstet und sachlich die Lügenhaftigkeit der ausländischen Presse darzutun. Derartige Meldungen zu erfinden, Meldungen also über Ereignisse, die an sich glaubhaft waren, sich aber nicht ereignet hatten, und diese Meldungen in führende westeuropäische Zeitungen zu lancieren, das war einer der Aufträge, die Heydebregg aus Berlin mitbrachte.
Die Aufgabe war delikat. Man mußte, um solche Nachrichten zu lancieren, Verbindungen haben, Personalkenntnisse, Fingerspitzengefühl. Andernteils war die Aufgabe dankbar, und man konnte sich bei ihrer Ausführung Lorbeeren holen. Nachdem Wiesener in der Sache mit den »P. N.« eine so unglückliche Hand gezeigt, hatte Heydebregg daran gedacht, mit dieser neuen Aufgabe Herrn von Gehrke zu betrauen. Nun aber hatte dieser von Gehrke aus eigener Vollmacht eine dankbare Mission in die Hand genommen. Da war es das Gegebene, daß er, zum Ausgleich, dem armen Wiesener, den erdurch seine lange Schweigsamkeit für die Affäre der »P. N.« zur Genüge bestraft hatte, die neue, Erfolg versprechende Aufgabe übertrug.
Er läutete bei Wiesener an.
9
Essen Sie Ihren Hut auf
Monsieur Pereyro sah mit Bedauern, daß Madame de Chassefierre ihre Beziehungen zu Wiesener wiederaufgenommen hatte und dadurch den Leuten, die ihr den Spitznamen Notre-Dame-des-Nazis angehängt hatten, neues Material zu bösem Gerede bot. Er hatte von den Vorgängen bei den »P. N.« gehört, Annas Tod hatte ihn ergriffen und erbittert. Er erzählte Lea davon und deutete an, daß man hinter den Vorgängen die Hand der Nazi vermutete. Er war ein Mann von Geschmack, er enthielt sich jedes Kommentars, jeder Anspielung auf Wiesener.
Lea hörte zu, mit höflicher Miene, bemüht, nicht allzu interessiert zu erscheinen; dennoch, ganz leise, unter Schminke und Puder, rötete sich ihr mattfarbenes Gesicht. Nichts Neues aus Afrika, dachte sie, große Jagd, das Lamm des Armen, und: Es ist eine fixe Idee, er hat natürlich nichts davon gewußt, und: Natürlich hat er alles gewußt, der gemeine Lügner, der Lump, der Nazi, jeder Zoll ein Nazi, und: Aber ich liebe ihn doch, und was geht mich das Ganze an, und: Jetzt ist es aus, jetzt mache ich Schluß, ein für allemal, jetzt breche ich die Brücken ab.
»Bringen Sie mir doch einmal Ihren Sepp Trautwein, mein lieber Pereyro«, sagte sie, liebenswürdig, beiläufig. »Ich möchte ihm gerne helfen. Ich denke an eine Art Konzert. Man müßte ein paar Leute von Einfluß einladen, Kritiker, Rundfunkleute. Man könnte den Abend als eine Hilfsaktion für Emigranten aufziehen.«
»Das wäre großartig«, antwortete Monsieur Pereyro mit unverstellter, herzlicher Freude. Er wußte natürlich, was Leas Einladung zu bedeuten hatte. In einem Haus, das man Sepp Trautwein für ein Konzert zur Verfügung stellte, konnten Funktionäre des Dritten Reichs unmöglich mehr verkehren. »Monsieur Trautwein«, fuhr er fort, »ist ein etwas schrulliger Typ, aber wenn wir ihm gut zureden, wird er es machen. Es wäre ihm eine Hilfe und uns allen eine Freude und ein Gewinn.«
Eine Freude und ein Gewinn, dachte Lea, als Monsieur Pereyro gegangen war. Eine Freude und ein Gewinn wohl nicht nur um Sepp Trautweins willen, sondern Pereyro sah es sicherlich als ein Glück für sie selber an, wenn sie dem peinlichen Verkehr der Nazi in ihrem Haus ein Ende machte. Eine Freude und ein Gewinn. Ein Gewinn? Das mag sein. Eine Freude? Nein, eine Freude ist es nicht. Sie sieht mit böser Klarheit voraus, daß und wie sehr sie sich den Rest ihres Lebens nach Erich sehnen wird. Schon jetzt, wenn sie daran denkt, wie hinter ihm die Tür zufällt, spürt sie die große Kälte, in der sie hernach wird leben müssen.
Aber hat sie denn die Brücken bereits abgebrochen? Nein, noch hat sie Zeit, noch kann sie zurück. Sie kann krank werden, kann plötzlich verreisen müssen, kann die Einladung dieses Monsieur Trautwein verschieben und abermals verschieben, bis die
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