Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Meinung über dieses verfluchte Moskau zu stecken. »Es wäre uns schon zu helfen«, entgegnete er also, noch friedfertig seiner Meinung nach, aber in Wahrheit bereits recht provokatorisch. »Es bräuchte zum Beispiel nur einer von uns beiden vernünftiger zu sein.« Darauf mußte Hanns natürlich die entsprechende Antwort geben, und so, obwohl jeder zu äußerster Toleranz entschlossen, waren sie schon nach ein paar Minuten mitten im heftigsten Disput.
»Was ist denn euer Sozialismus?« krähte Sepp. »Das ist doch die Karikatur eines Sozialismus. Was fang ich denn an mit einem Sozialismus ohne Humanität? So gewiß menschlich sein der Sozialismus des einzelnen ist, so gewiß ist Sozialismus nichts anderes als der Humanismus der Gesamtheit. Aber ein Sozialismus, der sich nicht um den einzelnen kümmert, ein Sozialismus, der immerzu den einzelnen preisgibt, ein Sozialismus, der nicht absoluter, hundertprozentiger Humanismus ist, mit einem solchen Sozialismus könnt ihr mich im Arsch lecken.«
Hanns aber war fest überzeugt, daß man mit derlei weichmütigen Theorien gegen erbitterte und durch und durch antihumane Gegner nicht aufkommen könne. »Wenn es jemand ernst damit ist«, erklärte er, »das Prinzip: ›Du sollst nicht töten‹ durchzudrücken, dann darf er nicht erlauben, daß ein anderer den Grundsatz propagiert: ›Du darfst töten.‹ Er muß vielmehr bereit sein, diesen andern notfalls umzubringen. Die Kirche hat recht daran getan, die Bergpredigt mit Feuer und Schwert zu verbreiten. Humanität, ich hab es dir schon einmal gesagt, läßt sich dem Menschengeschlecht nur mittels Kanonen beibringen.« Er sprach heftiger, als er wollte.
Auch Sepp antwortete kämpferischer, als er beabsichtigte. Er lehnte einen Sieg des Sozialismus ab, der mit andern als absolut demokratischen Mitteln erfochten werden müßte. Und als Hanns darauf beharrte, daß man der Nazi und ihrer Barbarei niemals mit den Mitteln formaler Demokratie werde Herr werden können, schmiß er dem Sohn streitbar krähend den Satz an den Kopf, nicht der Zweck heilige die Mittel, sondern die Mittel schändeten den Zweck.
Allein so vehement er daherredete, es verbarg sich, Hanns nahm es mit Freuden wahr, hinter der Fassade seiner großspurigen Sätze Unsicherheit. Sepp selber merkte, daß er nicht mehr mit ganzem Herzen an das glaubte, was er so eifrig verfocht. Manchmal schien ihm, als kämen Hannsens Argumente aus seinem eigenen Innern.
Übrigens wurde im Lauf der Debatte Hanns immer gemäßigter, Sepp dagegen kämpferischer, gröber. Aber Hanns nahm es ihm nicht übel. Was da aus Sepp herausbrach, das war seine saftige münchnerische Rauflust, die sich seit langer Zeit nicht mehr hatte betätigen können. Hanns sah befriedigt: der alte Sepp lebte noch.
Beiden war nach dieser gründlichen Aussprache wohler. Als sie zu Bett gingen, war jeder erfüllt von tiefer Verachtung für die politische Theorie und von tiefer Zuneigung für das Wesen des andern.
13
Triumph der guten Sache
Die »Pariser Deutsche Post« blühte und gedieh. Ihre zehn stattlichen Seiten konnten sich sehen lassen. Die besten deutschen Schriftsteller schrieben für sie; selbst Jacques Tüverlin steuerte einen bösen, eleganten Aufsatz über die Nazi bei.
Allein der Käufer, der am Kiosk sein messingnes Fünfzigcentimestück für sein Exemplar der »P. D. P.« hinlegte, ahnte nicht, wieviel Schweiß und Kopfzerbrechen es gekostet hatte, diese zehn Seiten mit lesenswertem Inhalt zu füllen. Unablässig hatten die Redakteure zu kämpfen, die Angriffe abzuwehren, mit denen der wütige Gingold und sein gerissener Anwalt sie verfolgten. Wie es Zarnke vorausgesagt hatte, regnete es Verfügungen, Streitankündigungen, Beschlagnahmungen, und die Gerichtsboten gingen in den Räumen der »P. D. P.« ein und aus.
Das schlimmste blieb die ständige Finanznot. Die Beträge, die Justizrat Zarnke und Peter Dülken aufgebracht hatten, waren erschöpft, man mußte kleine Summen zusammenbetteln, um sich von einem Tag zum andern über Wasser zu halten. Die Redakteure hatten nicht nur mehr Arbeit zu leisten als früher, sie mußten auch in eine immer dürftigere Entlohnung willigen, und sie mußten sich, um dieses harte Leben zu ertragen, immer wieder ins Bewußtsein rufen, daß sie ein tapferes, nobles und notwendiges Werk verrichteten. Die »P. D. P.« durchzuhalten, das erforderte viel Energie, Schläue und Optimismus.
Der alte Heilbrun bewährte sich. Er vereinigte mit großem
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