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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Mädchen, vertieft in sich selber, küßten sich ab, dann hielt sie ihn bei den Schultern und schaute ihm noch einmal in die Augen, dann fingen sie wieder an, sich zu küssen, und dann erst gingen sie auseinander. Derartige öffentliche Intimität war Hanns noch immer zuwider, aber er hatte sich daran gewöhnt. Wenn ihn die Verabschiedung gerade dieses Liebespaars bewegte, dann deshalb, weil er den jungen Menschen gut kannte, es war sein alter Schulkamerad und Widersacher im Jugendverband Ignaz Hauseder. Das Mädchen aber kannte er noch besser, es war Germaine, beziehungsweise Madame Chaix.
    Hanns, wie er den Hauseder so öffentlich mit seiner Germaine poussieren sah, verspürte einen rechten Stoß. Daß Germaine leichtfertig war, hatte er gewußt, aber es war ärgerlich, daß sie sich gerade diesen Ignaz Hauseder ausgesucht hatte, der immer so protzig und geschwollen daherredete. Seine Germaine, hatte er gedacht. War das Eifersucht? Und war also das, was er für Germaine fühlte, doch etwas wie Liebe? Soviel war gewiß, es verdroß ihn, daß er sie mit dem andern erwischt hatte.
    Noch grimmiger wurde er, wenn er sich vorstellte, was alles der Hauseder über ihn vor Germaine zusammenschwafeln mochte. Dabei gab er doch nichts auf das Urteil der beiden, und es konnte ihm Wurst sein, was sie von ihm hielten. Es war ihm aber nicht Wurst. Im Gegenteil, wenn er daran dachte, wie sie zusammenhockten oder vielleicht noch intimer zusammensteckten und über ihn grinsten, dann rauchte er ihm mächtig.
    Mühsam beruhigte er sich. Jetzt war es wenigstens zwischen ihm und Germaine eindeutig zu Ende, und er brauchte sich keine Gedanken mehr zu machen. Es war gut, daß ein Hanns Trautwein gar nicht erst angefangen hat mit einer Frau, die es über sich bringt, sich mit einem Kerl wie dem Hauseder einzulassen.An diesem Abend war Sepp wieder einmal sehr wortkarg und vergrübelt. Hanns spannte auf eine Gelegenheit, da er die unangenehme Mitteilung der bevorstehenden Abreise anbringen könnte, aber das Essen war vorbei, er hatte bereits das Geschirr abgewaschen, und immer noch hatte der Vater kein Wort gesprochen, an das er hätte anknüpfen können. Statt dessen hockte Sepp in dem Lehnstuhl, der jetzt schon wieder recht versessen ausschaute, und war so in Gedanken, daß Hanns es nicht übers Herz brachte, mit seiner bittern Nachricht herauszurücken.
    Sepp dachte an den alten Ringseis. Man hatte ihm gesagt, der werde es nur mehr kurze Zeit machen, und es wollte Sepp nicht aus dem Kopf, daß der Alte nun gerade noch vor dem Ende »kribbelig« geworden war. Sepp überdachte, wie oft er ihn pedantisch, oberlehrerhaft, zerstreut gesehen hatte, wie oft weise und abgeklärt und wie oft wieder lächerlich. Er überdachte seine Gradheit, seine Ehrlichkeit, seine tiefe Güte, das wahrhaft Humane, das von ihm ausging. Und auf einmal wurde ihm klar, daß er im Geist bereits an einem Nekrolog arbeitete.
    So weit also hatte ihn die Journalistik verseucht, daß er nicht einmal mehr an den verlöschenden Freund denken konnte, ohne den Nekrolog in der »P. D. P.« vor Augen zu sehen. So eingesperrt schon war er in seinen Zwangsberuf, daß er einen Menschen, der ihm so nahestand, mechanisch in Material für die Rotationsmaschine verwandelte. Er sprang auf, haute auf den Tisch und schrie: »Jetzt hab ich’s aber satt. Es kotzt mich an. J’en ai marre«, und nochmals: »J’en ai marre.«
    »In diesem Fall sagt man besser: ›Ça m’emmerde‹«, korrigierte gemütlich Hanns; manchmal in ähnlichen Situationen hatte er die Erfahrung gemacht, daß es den Vater beruhigte, wenn er sein Französisch verbesserte. »Also schön«, grantelte denn auch diesmal, schon gedämpft, Sepp weiter. »Ich hab’s satt, es steht mir bis zum Hals, es kotzt mich an. Ça m’emmerde, oder was du willst.« Hanns aber fand, er müsse die Gelegenheit beim Schopf packen, denn wenn nicht jetzt,dann werde er nie mehr reden, und, mit Anlauf, erklärte er: »Du wirst dich übrigens bald nach einem neuen französischen Lehrer umschauen müssen. In längstens einem Monat, wahrscheinlich schon früher, werde ich dir nämlich adieu sagen.«
    Sepp hatte gewußt, daß das einmal kommen werde; trotzdem gab es ihm einen Stich. In längstens einem Monat. Gerade jetzt macht sich der Bub davon, nachdem es sich herausgestellt hat, daß er noch der einzige ist, mit dem man reden kann. Leicht wird’s einem nicht gemacht. Mit Erna ist es aus, mit Tschernigg ist es auch nichts mehr Rechtes, was

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