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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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bleibt einem? Man ist schon elend allein in der schönen Stadt Paris.
    Und plötzlich überfällt es ihn, Vorstellungen von Schuld und Sühne. Wenn der Bub jetzt geht, so ist das die Strafe für das So-oder-so, die Strafe dafür, daß er sich’s zu leicht gemacht hat, daß er, schon wieder, innerlich desertiert ist.
    Langsam, während er das alles denkt, sagt er: »Ja, ja, dann gehst nachher du halt auch fort«, und er spricht sehr münchnerisch.
    Hanns hört darüber hinweg, er möchte keine Sentimentalität aufkommen lassen, er redet von anderem, von den beiden Zimmern am Quai Voltaire. Billig seien die Zimmer nicht, berichtet er, fünfhundert Franken, aber wir verdienen jetzt ja ganz gut. Und es sei eine hübsche Gegend, der Quai Voltaire, mit schönem Blick über den Fluß, Sepp werde sich bestimmt wohl fühlen. Und unter keinen Umständen möchte er den Vater hier im Aranjuez lassen. Er redet sich in Eifer, schildert die Vorteile der neuen Wohnung in starken Farben, will Sepps Gedanken von der bevorstehenden Trennung ablenken. Allein es gelingt ihm nicht recht. Sepp hört nur mit halbem Ohr hin und sagt zerstreut: »Das war nett von dir, daß du dich umgeschaut hast. Man wird ja bei Gelegenheit sehen.« Aber Hanns läßt nicht locker; nein, nichts bei Gelegenheit, Sepp müsse sich die Zimmer morgen anschauen, sonst seien sie weg. Doch Sepp, die Gedanken abwesend, erwiderte, so wichtig sei das wohl nicht, er habe jetzt so lange hier ausgehalten,schließlich werde sich auch was anderes finden. Und als Hanns bestand, krähte er: »Ich denke gar nicht daran, mich jetzt zu entscheiden, ich mag nicht.« Schmerz und Zorn über die bevorstehende Trennung hatten ihn widerspenstig gemacht, er war ganz der alte Sepp.
    »Nimm Vernunft an, Vater«, bat Hanns, und Sepp, den eine Stimme oft mehr bewegte als das, was sie sagte, bezähmte sogleich seinen Groll; ganz ähnliche Worte und mit ganz ähnlicher Stimme hatte in ähnlichen Fällen Anna gesprochen. »Na schön«, gab er nach, »nachher miet schon, aber mich laß in Ruh. Ich will mir’s nicht lange anschauen.« Im stillen überlegte er listig, mieten könne er die Zimmer ja, wenn dem Buben damit ein Gefallen getan sei; zu beziehen brauche er sie deshalb noch lange nicht.
    Diesen Ausweg gefunden zu haben freute ihn. Doch nur für einen Augenblick. Gleich darauf, schier körperlich schmerzhaft, überfiel ihn die Vorstellung, wie er hier im Hotel Aranjuez sitzen wird, wenn einmal Hanns fort ist, allein, in schwarzer Verzweiflung, darauf wartend, daß diese gemeine, hundsföttische Sache Benjamin endlich erledigt sein werde. Ach, sie wird nie erledigt sein. Er wird hier sitzen und sich nach seinem Werk sehnen, er wird seinen verdammten Karren weiterschieben, eine Landstraße entlang, die kein Ende nimmt, es wird sein wie damals an der Front, man verkommt und wird stumpf und sieht kein Ende ab, und dieser Feldzug, er ist kein Schnellzug, man geht auf einen Horizont zu, der einen zum Narren hält, und je weiter man geht, so weiter entfernt er sich, und ewig verschwimmen Himmel und Meer. Und man wird schlecht durch das endlose Warten, früher hat man seinen Humor gehabt und war gutmütig, jetzt wird man immer grantiger und nissiger, man sieht an keinem Menschen mehr was Gutes, man hat keinen Menschen zum Freund und ist keines Menschen Freund, man kann keinen ausstehen, es gibt keinen, an dem man nicht mehr Ärger hätte als Freude, Peter Dülken und Oskar Tschernigg und Erna Redlich, sie sollen sich zum Teufel scherenallesamt, und Hanns geht jetzt auch fort, und man ist vollkommen allein.
    Der Bub kann nichts dafür. Soll der Bub vielleicht hier hockenbleiben und werden wie er selber? Der Bub hat sich durchaus anständig benommen, er hat ihm schon vor Monaten gesagt, daß er gehen wird, es wäre an ihm, an Sepp, gewesen, sich rechtzeitig darauf einzustellen.
    Auf keinen Fall hat es Sinn, sich die letzten Wochen durch jammerselige Betrachtungen zu versauen. »Was halt sein muß, muß sein«, sagt er, und, mit einem matten Versuch zu scherzen: »Zu helfen ist dir ja doch nicht.« Auf diese traurigen, resignierten Worte zu erwidern ist gar nicht einfach; fast wäre es Hanns lieber, Sepp schriee und schimpfte. »Ja«, antwortet er, auch er flau spaßend, »zu helfen ist uns beiden leider nicht.«
    Dieser Ton mißfiel Sepp höchlich. Er hatte nicht die Absicht, mit dem Buben zu streiten, aber dunkel spürte er, es wäre vielleicht eine Erleichterung, ihm noch einmal deutlich die

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