Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Rückfahrt. Diese Scheißbande in Berlin, dachte er. Nicht einmal mit so einem Fritzchen werden sie fertig. Sie haben keinen Funken Psychologie, sie wissen immer noch nicht Bescheid um die Demokratien. Sonst hätten sie ruhig ein fait accompli geschaffen. Ich muß es dem Bären einmal gründlich stecken. Aber warum sollte ich schon? Ich bin ja jetzt erledigt, mich geht es nichts mehr an, ich bin nicht mehr mit von der Partie.
Es gab eine Stockung auf der schmalen, belebten Straße, er mußte halten und warten. »Sie sind heute recht schweigsam, mein Freund«, sagte unzufrieden Madame Didier. Ich habe Pech mit ihm, dachte sie. Ich hätte doch meinem innern Gebieter folgen sollen. Erst war er so munter und kregel und verliebt, und seitdem ich ihn und mich soweit habe, ist er nie recht bei der Sache. – Was ist wirklich mit mir los? dachte Spitzi. Jetzt läßt mich sogar meine Routine im Stich, und die Frauen merken, daß ich nicht bei der Sache bin. Sie wird mir noch durch die Lappen gehen, diese Corinne, gerade jetzt, wo ich eine Frau benötige, die ein bißchen wer ist.
Er nahm sich zusammen und drückte ihre Hand. »Sag rasch«, bat er, »woran denk ich jetzt?« Sie richtete den Blick vor sich hin, bemüht, sich zu sammeln. Aber: »Es geht jetzt nicht«, erklärte sie, »du bist mir nicht nahe genug.« Dann machte sie dennoch einen Versuch. »Du denkst an einen Fluß«, tastete sie, »und große, weißlichgraue Gebäude daran, es könnte London sein. Aber wenn es stimmen sollte, dann ist es erraten, nicht gewußt.« Er lachte, ein wenig bösartig. »Es stimmt nicht«, sagte er.
Endlich konnte der Wagen wieder anfahren. Meine »Leistung« seinerzeit, dachte er, hat nicht viel Mühe gemacht, es war ein wenig unappetitlich, aber Anstrengung war es keine, und es war rasch vorbei. Und dann, alle die Jahre her, hab ich einfach auf meiner Leistung sitzen können und mich um nichts zu kümmern brauchen, und alles ist gut gegangen. Ja, genauso war es: solange ich die Dinge habe laufen lassen, wie sie wollten, war alles in Butter, und seitdem ich mich anstrenge, seitdem ich wirklich was leiste, geht alles schief. Das beste, was mir eingefallen ist, meinen »Königsgedanken«, die Sache mit dem Pressefrieden, haben sie mir nicht nur nicht gedankt, sondern geradezu verhunzt. Dann, wie Notre-Dame-des-Nazis plötzlich die Nase von unserm Wiesener voll hatte und für diesen Sepp Trautwein demonstrierte, schien mein Segel wieder Wind zu kriegen. Die Brise hat nicht vorgehalten. Diese Idioten. Müssen sie mir den Benjamin freilassen. Gegen solche Eseleien, dagegen stinkt kein Glück und keine Begabung an.
Er hatte in der Tat schlechte Erfahrungen machen müssen, als er in London für seinen Pressefrieden arbeitete. Die Partei hatte ihn elend aufsitzen lassen, ihn desavouiert, alles Erreichte immer wieder durch betonte Lauheit sabotiert. Dabei wußte er: der Parteigenosse hatte recht gut gesehen, daß sein Projekt erstklassig war. Es war einfach niederträchtig, daß der Parteigenosse seine Vorliebe für Wiesener über die Interessen des Reichs und der Partei stellte. Es war auch niederträchtig, daß der Parteigenosse einfach keine Notiz davon nahm, daß sein Günstling durch die Fahnenflucht Madame de Chassefierres kompromittiert war. Von seiner eigenen Kompromittierung durch den übeln Ausgang der Affäre Benjamin wird der Parteigenosse sehr nachdrücklich Notiz nehmen.
Das war nun einmal so, und daran konnte er nichts ändern, auch wenn er den Bauch noch so voll Zorn hatte. Wie aber wäre es, wenn er, da er infolge der Affäre Benjamin doch so gut wie verloren ist, ohne Rücksicht auf das Nilpferd und die Rue de Penthièvre einfach noch einmal hinüber nach Londonflöge, der Partei zum Trotz, und der Geschichte mit dem Pressefrieden durch Ausnützung seiner persönlichen Beziehungen einen neuen Schubs gäbe? Verschlimmern kann sich seine Situation nicht mehr. Jede Sache hat ihre zwei Seiten, dachte er, und jedes Unglück sein Gutes. So blöd die Affäre Benjamin ausgegangen ist, auch diese Pleite hat ihre Vorteile. Wenn ich bisher, bei allem, was ich tat, peinlich darauf habe achten müssen, bei niemand anzuecken: jetzt bin ich diese Bremse los. Auf das Nilpferd hinüberschielen muß ich jetzt nicht mehr. Wenn ich schon in die Luft fliegen soll, warum dann nicht mit Krach und Glanz? Ich tu’s. Ich leiste mir den Spaß. Ich geh nach London.
Diese Erwägungen heiterten ihn auf. Dreist und liebenswürdig sagte er zu der
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