Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
ereignen. Denn nun ist die deutsche Rüstung stark genug, um dem deutschen Rechtsgefühl, dem Prinzip: »Recht ist, was dem deutschen Volke nützt«, immer und überall, wo es not tut, Geltung zu verschaffen.
Und dann kam jene Szene, Kiepners Auftreten, Wieseners Triumph. Er sah, wie der Mann, den er für die ganze Welt hatte umgebracht werden lassen, damit er auferstehe ad majorem gloriam tertii imperii, nun in der Tat auferstand. Für einen Augenblick packte Wiesener eine leise Übelkeit, ein Gefühl wie auf einem stark schwankenden Schiff. Ganz geheuer ist das nicht mit dem Minister Kiepner; es ist besser, nicht zu scharf darüber nachzudenken, auf welche Art wohl die drüben diesen Kiepner dazu vermocht haben, sein Bekenntnis für die Nazi abzulegen. Auch wird es, obzwar er da auf der Tribüne leidlich rüstig ausschaut, vermutlich um seine Rüstigkeit nicht mehr allzu gut bestellt gewesen sein, sowie er erst die Tribüne wieder verlassen hatte. Allein diese unangenehmen, vagen Bilder erloschen schnell wieder. »Na, mon vieux«, kam die Stimme Heydebreggs durch die Dunkelheit, und es war in Wiesener nichts mehr als eine tiefe Freude über die geglückte List.
Des Nachts, bei den Eintragungen in die Historia Arcana, schwelgte er in Begeisterung über sich selber. Der listenreiche Odysseus, dachte und schrieb er, griechisch selbstverständlich. Leid war ihm nur, daß er nicht Lea da hatte oder wenigstens Maria, um vor ihnen den Pfau zu machen.
Am andern Morgen fand er in seiner Post ein Schreiben eines Mannes namens Gingold. Ja, die Affäre der »P. N.« lag ihm so weit zurück, daß ihm Herr Gingold völlig verblaßt, daß er für ihn zu einem Manne namens Gingold geworden war und er sich den Bruchteil eines Augenblicks ernstlich überlegen mußte, wer denn dieser Mann sei. Dann freilich erinnerteer sich und wurde vergnügt. Verdammt noch eins, jetzt war es an dem, die Schmöcke waren in der Tat ein für allemal erledigt. Ihre Akronyma, mögen sie nun »P. N.« heißen oder »P. D. P.«, werden ihm keine Minute Schlafes mehr rauben. Er ist ihnen entkommen, in die Lüfte hinauf, ihnen für immer unerreichbar. Mögen sie sich über Nürnberg lustig machen, mag ihnen der Nürnberger Parteitag, diese großartige Kundgebung eines mannbar gewordenen Volkes, barbarisch und grotesk erscheinen, mögen sie ihn und seine Aufsätze begeifern oder belächeln: ihre Artikel bleiben machtlose, akademische Ergüsse.
Warum soll er sich diesen Herrn Gingold nicht wirklich kommen lassen? Es könnte ganz amüsant werden. Er könnte sich den Mann anhören und anschauen wie aus einer Theaterloge heraus. »Schach Mahomet hat gut gespeist / Und gut gelaunet ist sein Geist.« Es wird unterhaltend sein, Herrn Gingold sich abarbeiten zu sehen und zu spüren, daß man die Schmöcke in der Hand hat wie ein Marionettenspieler seine Puppen.
Die Sekretärin Lotte Bittner teilte Herrn Gingold mit, daß ihn Monsieur Wiesener am Dienstag um elf Uhr erwarte.
Herr Gingold war noch verwilderter und sonderbarer geworden. Seine Kinder waren tief erschrocken, wie zerstört sie ihn bei ihrer Rückkehr vorgefunden hatten. Von Nachum Feinberg über das Geschehene unterrichtet, waren sie übereingekommen, ihren Vater nichts davon merken zu lassen, daß sie um seinen Kummer wußten. Sie spielten in der großen Wohnung in der Avenue de la Grande Armée ihren Alltag weiter, trieben ihr früheres, lärmendes Gewese, schrien, stritten sich, machten Musik, der Kanarienvogel Schalscheles sang; für den, der nur flüchtig hinhörte, war die Behausung erfüllt von der alten, lauten Sinfonie. Allein Herr Gingold ließ sich nur auf Augenblicke in diesen ihren Alltag mit einbeziehen, nur auf Augenblicke schrie und schimpfte auch er, dann fiel er zurück in sein trübes, selbstzerstörerisches Brüten.
Aus Berlin hörte er so gut wie nichts. Seine und Nachum Feinbergs Vertrauensleute dort machten Redensarten. Kein Brief kam von Hindele, in letzter Zeit war sogar Benedikt Perles verstummt, man wußte nicht, was mit ihm geschehen war. Dieses Schweigen war quälender als die schlimmste Nachricht. Herr Gingold blieb die ganze Zeit über eingesperrt in seinem Gefängnis von Stille, von solcher Stille, daß er mit all seinem Lärm und seiner Grellheit nicht dagegen ankam.
In seine zuzeiten wildgeschäftige, doch meistens dumpfe Verzweiflung hinein war dann fürchterlich erhellend die Meldung von Benjamins Freilassung gekommen. Wieder einmal hatte, aus dieser
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