Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
und gegenwärtig waren nur er und Ilse.
    Es steht viel Ungesagtes zwischen ihm und ihr. Er hat zum Beispiel eine merkwürdige Scheu davor gehabt, ihr von seiner Zusammenkunft mit Sepp zu sprechen. Sie hat ihn nicht mehr danach gefragt, und er hat ihr nichts erzählt. Auch hat er ihr nie offenbaren können, was ihm in seiner deutschen Haft offenbart wurde. Wenn er jetzt seine »Plattform« zustande brächte, dann könnte er endlich einmal das, was ihm dort, in der deutschen Gefangenschaft, zugeflossen ist, rein und klar heraussagen, nicht nur für sie, für alle. Es wäre ein Verrat an der »P. D. P.« Aber entschuldigt nicht die große Sache einen kleinen Verrat? Er ist sich auch klar darüber, daß seine Motive nicht rein sind: aber wird eine edle Sache weniger edel, wenn ihr Prophet nicht ganz saubere Hände hat?
    Er wird vor Ilse reden. Diesmal wird er es über sich bringen. Er wird ihr nackt und schamlos das Angebot machen, sie wieder besser und reicher zu halten. Er wird alles heraussagen, was ihn zu diesem Angebot treibt, die äußern und dieinneren Gründe. Er ist kein Halbgott, er ist ein Mensch, mit dem Scheitel im Himmel, mit den Füßen im Pfuhl.
    Für den Abend hatte er sich mit Ilse in einem einfachen Restaurant verabredet. Der Raum war lärmend und rauchig, der Fisch verbraten, der Wein schlecht gepflegt, aber Ilse verlor kein Wort darüber. Er fragte sich die ganze Zeit, ob er sprechen solle. Aber das war nicht der rechte Rahmen, er verschob es. Sie schien müde. Er schlug ihr vor, ein Taxi zu nehmen. Sie lehnte ab, man fuhr in der Metro.
    Im Hotel Atlantic angelangt, saßen sie noch eine kleine Weile stumm zusammen. Sie hatte Jacke und Hut nicht abgelegt, sie war offenbar sehr müde. »Ja«, meinte sie, »dann werden wir wohl zu Bett gehen.«
    Er muß zu ihr sprechen, vorher; wenn er sie so zu Bett gehen läßt, ohne ihr von dem Leben gesprochen zu haben, das er ihr bieten will, dann entgleitet sie ihm für immer. Und das darf nicht sein. Sie darf ihm nicht verlorengehen, eine ungeheure Begierde ist in ihm nach dieser Frau, die so müd und schlafgierig vor ihm sitzt, er kann ohne sie nicht leben, er muß sie halten, alles andere ist gleichgültig. Und unvermittelt, mit einer etwas erkrampften Schalkhaftigkeit, sagte er: »Wie ist das, Ilse? Sehnst du dich eigentlich niemals zurück ins Hotel Royal? Wie wäre es, wenn wir wieder hinzögen und ein bißchen larger lebten, so wie früher? Was meinst du?«
    Sie starrte ihn an, verblüfft, den breiten Mund auf kindliche Art halb offen. Sie begriff nicht, was er wollte, warum er das sagte. Dann, wohl infolge des vielen Geredes über die Nürnberger Gesetze, kam ihr plötzlich der Gedanke: Vielleicht hält er mich für eine Gans und glaubt, ich bereu es jetzt, daß ich damals mit ihm gegangen und nicht bei Hitler geblieben bin. Er ist ja immer noch so naiv. »Meine Güte«, sagte sie gedehnt und sehr sächsisch, und schließlich lachte sie hell heraus, und: »Du bist wohl verrückt, oder du hältst mich zum Narren«, sagte sie.
    Dieses »Meine Güte« und dieses »Du bist wohl verrückt« fegten auf einmal das ganze unsinnige Geträume fort, dassich Friedrich Benjamin vor dem Marmortischchen in dem Café zusammengebraut hatte, und ließen ihn klar erkennen, was war, daß es nämlich mit der früheren Ilse ein für allemal aus war. Und damit hatte er auch den eigenen Rückfall in das Wesen des früheren Benjamin überwunden. Er wird das Angebot seiner Kollegen annehmen und seine Träume von der »Plattform« fahrenlassen. Er wird weiterarbeiten wie bisher, nicht stolz auf seine neue Weisheit, vielmehr bescheiden, umwegig, listig, im Dienst nicht seiner Eitelkeit, sondern nur der Idee. Das Gefühl, Ilses sicher zu sein, wird ihm helfen.
    Ein Lächeln breitete sich langsam über sein Gesicht, und diesmal schien es Ilse ein schönes, strahlendes Lächeln. Wie hatte er sie wieder einmal kindlich mißverstanden. Sie liebte ihn. Sie schaute zu ihm auf, zu ihrem großen, bedeutenden Mann und seinem außergewöhnlichen Schicksal, und gleichzeitig schaute sie auf ihn herunter, fraulich, beinahe mütterlich wie auf ein kleines Kind.
    »Ich war übrigens bei Sepp Trautwein«, berichtete er, es klang wie eine Beichte. »Ich hab ein bißchen viel geschwatzt vor ihm, ich hab mich gehenlassen, er hat wenig geredet, es sind nicht viele Beziehungen zwischen uns, aber ich glaube, wir haben einander verstanden; wenigstens, solange wir zusammen waren«, setzte er einschränkend

Weitere Kostenlose Bücher