Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
hinzu. Und als sie darauf nichts erwiderte, sprach er schnell weiter: »Übrigens soll ich jetzt der ›P. D. P.‹ den Chefredakteur machen. Daher auch meine Frage, ob du ins Hotel Royal zurück möchtest. Es war natürlich ein dummer Witz«, sagte er reuig.
    »Das war es«, antwortete sie. »Aber in einem hast du recht«, fuhr sie fort, mit Entschluß. »In diesem Hotel Atlantic fühl ich mich nicht mehr wohl, wir sollten ausziehen. Wir sollten irgendwo eine kleine Wohnung mieten. Wie wäre es, wenn ich es probierte, Haushalt zu führen? Was meinst du?«
    Er schaute hoch. Sie sprach genau in seinem Tonfall. Lachte sie ihn aus? Verulkte sie ihn? War es eine Retourkutsche? »Meine Güte«, sagte er schließlich unsicher, mit einem matten Versuch, zu scherzen.
    Ilse rauchte heftig. Was hatte sie da angestellt? Die Idee solcher Zurückgezogenheit und Selbstbeschränkung war ihr mehrmals gekommen, aber reif war der Plan noch lange nicht gewesen. Sie hatte sich hinreißen lassen, sie war, verwundert und gerührt durch seinen grotesken Vorschlag, weitergegangen, als sie eigentlich gewollt hatte. Sie liebte ihn: aber mußte sie sich deshalb zu seiner Magd machen? Andernteils war sie beinahe froh. Der jähe Entschluß, auf die Umwelt der früheren Ilse für immer zu verzichten, gab ihr ein Gefühl der Geborgenheit, eine große Ruhe. So legt sich einer zu Bett nach einem Tag von Gehetz und Gezappel und streckt sich aus; noch tut ihm alles weh vor Müdigkeit, aber er spürt, bald kommt der Schlaf, und er genießt ihn im voraus.
    Friedrich Benjamin hatte inzwischen begriffen, daß sie es mit ihrem Vorschlag ernst meinte. Niemals, erwiderte er dringlich, werde er dieses Opfer annehmen. Im Gegenteil, man müsse jetzt wieder mehr ausgehen, Menschen sehen, sie hätten, nun er Chefredakteur sei, repräsentative Pflichten. Sie müsse sich wieder gut anziehen, es sei geradezu eine politische Notwendigkeit für ihn, zu zeigen, was für eine schöne Frau er habe. In dieser letzten Zeit habe er sie gemein vernachlässigt, doch jetzt werde er alles wiedergutmachen.
    So redete er eifrig auf sie ein. In seinem Innern aber stand geschrieben und besiegelt, daß sie tun werde nach ihren Worten und daß der falsche und mühselige Glanz dieser letzten Jahre nun ein für allemal von ihnen abfallen werde, und seine Worte waren nichts als eine Art Höflichkeit, eine umwegige Art, ihr seine tiefe, warme Dankbarkeit zu bezeigen.
    Allein während er noch redete, merkte er, daß er ins Leere redete. Die Müdigkeit, die schon seit ihrer Zusammenkunft im Restaurant in ihr stak, war nach der Anstrengung ihres plötzlichen Entschlusses doppelt mächtig über sie gekommen. Ihre Augen waren zugefallen, und langsam, gleichmäßig kam der Atem aus ihrem halboffenen Mund.
    Ein bißchen hilflos und sehr verliebt betrachtete der Mann die zufrieden schlafende Frau.
19
Erich Wiesener vergrößert sich
    Es überraschte Erich Wiesener nicht weiter, daß man auf dem »Parteitag der Freiheit« derbe und volkstümliche Reden über die Rassenlehre der Nazi hielt. Nicht aber hatte er vorhergesehen, daß man die Tagung werde ausmünden lassen in die Verkündigung so sturer, widerwärtiger Gesetze. Bestürzung und Scham überwältigten ihn.
    Doch schon nach wenigen Minuten hatte er sich gefaßt und erkannt, daß ihm persönlich diese Wendung nur Vorteile brachte. Sie bewies, daß sich die Herren in Berlin und Berchtesgaden stark genug fühlten, offen zu zeigen, daß sie die Meinung der Kulturwelt verachteten. Seine, Wieseners, Aufgabe wurde dadurch klarer umgrenzt und dankbarer. Von nun an braucht er Berlin nicht mehr lange darauf aufmerksam zu machen, daß diese oder jene Handlung oder Äußerung das Ausland verstimmen könnte. Vielmehr besteht seine Aufgabe fortan ausschließlich darin, die Maßnahmen der Partei durch schönklingende Formulierungen zu decken. Es obliegt ihm fortan, den ideologischen Überbau zurechtzuzimmern für die von der Partei geschaffenen Realitäten. Wer mit dem Instrumentar der Sprache so meisterlich umzugehen versteht wie er, für den ist das ein interessantes Unterfangen. Je bedenklicher der Stoff ist, aus dem die Partei ihre Fundamente konstruiert, um so kühner und reiner muß sich der Bogen des von ihm herzustellenden Überbaus wölben; je unangenehmer die Wirklichkeiten sind, ein so angenehmeres ideologisches Kostüm muß er ihnen anschneidern. Für einen Wortkünstler ist dieses Geschäft keineswegs reizlos. Wer die Sprache in Wahrheit

Weitere Kostenlose Bücher