Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Erfreulich übrigens, daß selbst ein schlichter Kaufmann wie dieser schon vom Erfolg seines »Beaumarchais« gehört hat. Und daß ihm der Mann soviel Einfluß zutraut, beweist, wie stark die Stellung ist, die er sich geschaffen hat. Hat er ihn, diesen Einfluß? Wahrscheinlich hat er ihn. Es wäre interessant, festzustellen, ob er ihn hat.
Er schaut Herrn Gingold an, gesammelten Gesichtes, mit unverwandtem Blick seiner grauen Augen. Er überlegt. Er läßt sich Zeit mit der Antwort.
Es ist eine furchtbare Minute für Herrn Gingold. Er kam mit geringer Hoffnung, doch diese Hoffnung wuchs, während er zu dem Manne sprach. Sie wuchs beträchtlich. Herr Gingold besitzt infolge seiner vielen Geschäfte eine ausgezeichnete Kenntnis der menschlichen Seele und errät beinahe immer die Antwort, noch ehe sie da ist. Heute, diesmal, errät er nichts. Ist es ihm geglückt, das Herz des Mannes zu bewegen?Der Mann hat ein menschliches Gesicht, aber er gehört zu den Urbösen. Es kann ein Nein kommen, aber es ist auch sehr wohl möglich, daß ein Ja kommt. Herr Gingold schickt ein verzweifeltes Gebet zu Gott. Er hat die »P. N.« aufgegeben, spontan, ohne Hoffnung auf Lohn, er hat auf ihre Weiterführung verzichtet. Gott muß, muß, muß ihm dieses Opfer vergelten. Herr Gingold zittert in Qual und Spannung.
Endlich hatte Wiesener seinen Entschluß gefaßt. Er machte sich eine Notiz auf seinem Block und sagte, reserviert, doch nicht ungütig: »Schicken Sie mir, bitte, genaue Daten über den Fall Ihrer Tochter. Ich will versuchen, eine Überprüfung des Falles in die Wege zu leiten. Ich verspreche Ihnen nichts«, fügte er schnell hinzu, da Herr Gingold etwas sagen wollte. »Das heißt, eines verspreche ich Ihnen: ich werde Sie nicht lange warten lassen, ich werde Ihnen raschen Bescheid zukommen lassen.«
Die Welt hatte sich Herrn Gingold verändert. Gott, so lange von ihm abgekehrt, wandte ihm sein Antlitz von neuem zu. Ein Wunder war geschehen: da saß einer vor ihm, bekannte sich zum Hakenkreuz, und in seiner Brust schlug ein menschliches Herz. Kaum ein Jud hätte viel anders reden können als dieser. Die überschwengliche Demut und Dankbarkeit seiner Ghetto-Vorfahren wurde in Herrn Gingold lebendig. Es hielt ihn nicht mehr, er nahm Wieseners Hand und küßte sie.
Wiesener, allein, war voll Bewunderung vor sich selber. Ohne weiteres hatte er auf die »P. N.« verzichtet, sein Instrument gegen die Schmöcke; ohne weiteres war er bereit gewesen, dem Manne namens Gingold zu helfen. Soviel Ethos hätte er gar nicht hinter sich gesucht.
Er schaute auf Leas Porträt, voll von einer von ihm selber bespöttelten abergläubischen Neugier, wie sie auf seine Großmut reagieren werde. Sie lächelte. Er fand, es war ein ärgerliches Lächeln. Er schlug ein Exemplar des »Beaumarchais« auf und zeigte dem Porträt die leere Seite nach dem Titel. »Hier hätte dein Name stehen können«, sagte er zu der gemaltenLea. »Das hast du dir selber verscherzt.« Und: »Es ist gut, daß es ist, wie es ist«, versicherte er sich selber.
Er ging auf und ab in seinem schwarzen, weiten, kostbaren Schlafrock, die Quaste schleifte nach. Wohlgefällig glitt sein Aug über die silbriggrauen Dächer der Stadt Paris. Er kostete aus, wie herrlich weit er es gebracht hatte. Welch ein Aufstieg. Erst die Zeit in dem armseligen Zimmer im Quartier Latin, dann die Jahre in der kleinen Wohnung in der Gegend des Montparnasse, dann die Zeit in den drei Räumen in der Gegend der Étoile, jetzt die strahlende Bestätigung hier. Und wenn gar erst Heydebregg fort sein wird, dann wird er Vertreter des Reichs sein hier in Paris, Gauleiter in Frankreich, ein großer Herr.
Aber sind die Räume hier oben, so hübsch sie sein mögen, repräsentativ genug für den Gauleiter in Frankreich? Sind sie nicht zu eng? Sein Lebensraum muß größer sein. Eine Mietwohnung ist für ihn nicht der rechte Rahmen; er braucht ein Haus.
Er wird es haben.
Wenn er in sein neues Haus zieht, dann wird übrigens das Bild der lächelnden Dame ganz von selber verschwinden, ohne daß seine Freundfeinde es gewahr werden. In seinem neuen Leben ist kein Platz für die lächelnde Dame.
Wie ihm der Diener Arsène in den Mantel hilft, da – es ist eine unziemliche Vertraulichkeit, aber Wiesener kann nicht anders – wirft er ihm hin: »Übrigens, Arsène, wir vergrößern uns. Wir beziehen nächstens unser eigenes Haus.«
20
Ein Schuldschein auf die Zukunft
Die Situation der »P. D. P.« hatte sich
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