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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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beherrscht, der muß imstande sein, noch die Nürnberger Judengesetze mit so schönen, menschlichen Worten zu verbrämen, daß Wohlwollende sie schließlich für eine zivilisatorische Tat anschauen.
    Sogleich setzte er sich hin und schrieb über Nürnberg.Entwarf einen jener zwielichtigen Artikel, in deren Abfassung er Meister war. Wenn heute in Deutschland das Überraffinement der großkapitalistischen Zeit abgelöst wurde von volkhafter Simplizität, war das nicht ein Segen? War es nicht Verblendung und Vorurteil, diese Wandlung Barbarei zu schelten? In seinem Aufsatz wurde die Brutalität der Nazi zur Kraft, die plumpe Derbheit ihrer Lügen zu schönem Freimut, ihre rohe Gewalttätigkeit zu Vitalität. Er arbeitete mit der Passion des Virtuosen; zuweilen glaubte er selber, was er schrieb. Der Leser aber, an den er sich vor allen andern wandte, war Lea. Alles, was er Lea in jener letzten Unterredung nicht mehr hatte sagen können, weil es ihm zu spät eingefallen war, das sagte er ihr zwischen den Zeilen dieses Aufsatzes.
    Der Artikel über die »kulturellen Ergebnisse des Nürnberger Parteitags« wurde der stärkste Erfolg, den Wiesener je gehabt. Alles, was in England, Frankreich, Italien faschistisch war, zitierte ihn, seine geschickten, wohlklingenden Argumente wurden sogleich dem eisernen Bestand der Parteiideologie beigefügt. Über Nacht war Erich Wiesener zu einem Kirchenvater des Faschismus geworden.
    Zudem ging nun jene Saat, die er im Auftrag Heydebreggs durch seine raffiniert erfundene und lancierte Nachricht gesät, herrlich auf. Mit großem Geschick hatte er’s damals zu arrangieren gewußt, daß viele angesehene Zeitungen des Auslands die Meldung brachten, Minister Kiepner, während der Weimarer Zeit einer der Führer der Linksparteien, sei im Konzentrationslager umgekommen. Jetzt, zum Parteitag, holten die Naziführer die schon halb vergessene Nachricht vor. Einmal herhören, Parteigenossen. Da haben also die Herren in New York, in London und Paris mit großem Trara gemeldet, der Minister Kiepner sei von den bösen Nazi erschlagen worden. Was aber steckt hinter dieser Meldung? Da kann der Sprecher des Dritten Reichs dem deutschen Volk und der Welt einmal an einem augenfälligen Beispiel demonstrieren, wie es um die Wahrheitsliebe der ausländischenPresse bestellt ist, wenn sie von den Nazi spricht. Meuchlings umgebracht haben wir den Minister Kiepner? Unsern mancherlei Schandtaten eine neue angereiht? Betrachten Sie sich einmal gefälligst diese unsere Schandtat, Parteigenossen. Kommen Sie herauf, Kiepner. Schaut ihn euch an, Leute. Da steht er, der Tote, der Mißhandelte. Nicht umgekommen ist er, sondern in der strengen, heilsamen Zucht des Konzentrationslagers zum wahren Deutschen ertüchtigt, zum Volksgenossen, er selber wird es euch verkünden. Und Minister Kiepner trat auf und legte Zeugnis ab für das männliche, gesunde Regime, das ihn zum Heil und zur Erkenntnis geführt habe.
    Schmunzelnd am Rundfunk hörte Wiesener das Auftreten seines Opfers mit an, schmunzelnd las er davon in den Zeitungen.
    Und dann gar sah er es mit eigenen Augen.
    Es hatte nämlich Heydebregg in Nürnberg dem Parteitag beigewohnt, und er hatte Ausschnitte mitgebracht aus dem Film, den man dort gedreht hatte. Gleich nach seiner Rückkehr lud er Wiesener ein, sich als sein Gast das Auftreten des Ministers Kiepner im Film vorführen zu lassen.
    Die Vorführung des Films vom »Parteitag der Freiheit« fand im Deutschen Hause statt. Der Raum war nicht groß, doch er wirkte groß dadurch, daß Wiesener und Heydebregg allein waren, das Surren des Apparates unterstrich die Stille und Leere.
    Beinahe machte der gefilmte Parteitag auf Heydebregg einen noch stärkeren Eindruck als der wirkliche. Er sah die Banner defilieren, er sah die vielen Zehntausende militärisch trainierter junger Männer, er sah den Führer voll und fest im Fleisch, den Arm markig vorgestreckt, sein geliebtes und gefürchtetes Antlitz, in dem die Polarität des deutschen Menschen zum Ausdruck kam, das Disziplinierte in dem symbolisch beschnittenen Schnurrbart, das Künstlerische in der in die Stirn gestrichenen Haarlocke. Er sah sich selber, Konrad Heydebregg, auf der Tribüne, in der Umgebung des Führers.Es waren große Tage gewesen, Nürnberg. Wenn im Falle Benjamin das sogenannte absolute Recht, dieser blasse Schemen, über das deutsche Interesse gesiegt hatte: ein zweites Mal wird sich ähnliches nach dieser Entfaltung deutscher Kraft nicht mehr

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