Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Großinserenten, mit denen ihn Herr Leisegang ins Geschäft gebracht habe, noch für geraume Zeit Aufträge für die »P. N.«, die »P. N.« aber seien schwerlich mehr in der Lage, das zu leisten, was sie bei der Auftragserteilung in Aussicht hatten stellen können. Es sei also für Herrn Leisegangs Auftraggeber ein schlechtes Geschäft, weiter in den »P. N.« zu annoncieren. Es sei kein Staat mehr zu machen mit dieser Zeitung, der Leserkreis der Emigration sei zu klein für zwei Blätter so ähnlichen Charakters wie die »P. N.« und die »P. D. P.«. Er glaube, man verschwende nur Zeit, Kraft und Geld, wenn man die »P. N.« weiterführe.
Wiesener war überrascht. Verbarg sich eine Teufelei hinter diesen so unerwartet fairen Vorschlägen? Für die Nazi waren die »P. N.« wertlos geworden, damit hatte der Mann recht, sie konnten nichts mehr damit anfangen; andernteils aber konnten sie sich, wenn sie nicht peinliche Prozesse riskieren wollten, kaum davor drücken, weitere Zuschüsse in Form von Inseratenaufträgen für das Blatt zu leisten. Wiesener beschaute Herrn Gingolds hartes, fleischloses Gesicht, die altmodische,betont bürgerliche Kleidung, das falsch-freundliche Lächeln, die verzweifelte, erkrampfte Biederkeit. Dunkel fiel auch ihm Herrn Gingolds Ähnlichkeit mit Lincoln auf, er fand ihn eine Gestalt aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, einen ehrbaren Kaufmann. Warum aber in Dreiteufelsnamen gab dieser ehrbare Kaufmann seinen offenbaren Vorteil auf? Warum verzichtete er freiwillig auf seinen klaren Profit? Waren die Nürnberger Gesetze die Ursache? War dem Manne seine Hand zu gut, Geld anzunehmen von den Leuten, die diese Gesetze erlassen hatten? Aber wo in der Welt gab es einen Kapitalisten, der Geld, das man ihm zu geben bereit war, nach seiner Herkunft beroch? Ein sonderbarer Fall.
Herr Gingold mittlerweile zermartert sein Hirn, wie er auf den Zweck seines Besuches zu sprechen kommen könnte. Der Mann soll ernsthafte Bücher geschrieben haben, er hat ein menschliches Gesicht, er kann kein richtiger Urböser sein. Wie wäre es, wenn man einfach so zu ihm spräche, als wäre er kein Urböser, sondern ein Mensch? Selbstverständlich muß man peinlich vermeiden, Beziehungen herzustellen zwischen dem Fall der »P. N.« und dem seiner Tochter Hindele, sonst könnte sich der Mensch wieder in einen Urbösen verwandeln.
Herr Gingold erklärt also, er sei nicht nur in seiner Eigenschaft als Verleger der »P. N.« zu Herrn Wiesener gekommen, sondern auch in einer privaten Angelegenheit. Und er erzählt den Fall seiner Tochter, der Frau Ida Perles. Freilich war, das ist so gut wie sicher, gerade dieser Wiesener die letzte Ursache, daß Hindele, sein Kind, ins Konzentrationslager gesteckt worden war, aber daran will Herr Gingold jetzt nicht denken, er zwingt sich, es zu vergessen. Er ist nichts als der arme Vater, dem man sein Kind genommen hat. Er weiß nicht, weshalb man sie verfolgt, er kann nichts darüber erfahren, und selber nach Deutschland gehen kann er auch nicht, aus vielen Gründen. Und nun er einmal Gelegenheit hat, den Herrn Professor Wiesener zu sprechen, möchte er ihn fragen, ob nicht der Herr Professor, der sich – geschickt streut er seine Schmeichelei ein – durch seine Bücher so ungeheuresAnsehen erschrieben hat, daß jeder in Deutschland auf ihn achtet, ein gutes Wort für ihn und sein Kind einlegen könne.
Wiesener hört still zu. Der Mann spricht verschmitzt und doch ehrlich. So also hängt das zusammen. Ja, er erinnert sich, Leisegang hat ihm seinerzeit mitgeteilt, daß er gewisse Druckmittel anwenden werde, er hat wohl auch von Zwangsmaßnahmen gegen Familienmitglieder des Mannes namens Gingold gesprochen. Aber Genaueres hat Wiesener nicht gewußt, auch gar nicht wissen wollen, solche Dinge überläßt ein Mann von Geschmack besser der Gestapo, ohne sich um die Details zu kümmern. Man drückt auf den Knopf, und der Mandarin stirbt; den Mandarin zu sehen, hat man durchaus kein Verlangen. Jetzt also sieht er ihn gewissermaßen doch. Der Mann da ihm gegenüber, der Mandarin, weiß natürlich auch, daß er es war, der auf den Knopf gedrückt hat. Aber der Mandarin hat Einfühlung oder Schlauheit genug, zu tun, als wüßte er’s nicht. Das spricht für ihn. Im übrigen erzählt er wirklich gut, der Mann; er geht aus sich heraus und wirkt doch nicht komödiantisch. So müßte Shylock gespielt werden, der um Jessica trauert. Der selige Schildkraut hat das viel zu grell gemacht.
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