Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
er trug ihre Forderungen vor.
Es war eine runde, stattliche Summe, welche die Herren von ihr verlangten. Eigentlich war es eine Anmaßung, eine Unterstützung in solcher Höhe von ihr zu fordern. Waren die Herren, war der Mensch mit den brennenden, etwas verrückten Augen vielleicht der Meinung, sie habe Sühnegeld zu entrichten wegen ihrer Beziehung zu Erich?
Sie erwiderte, sie werde die Angelegenheiten bedenken. Sie sprach in Worten, die liebenswürdig waren und gleichzeitig so zurückhaltend, daß man alles hoffen und fürchten konnte.
Allein, überlegte sie. Das Lamm des Armen ist nun zwar gerettet, aber gesichert ist es noch lange nicht, es ist nackt und anfällig und hundert Gefahren ausgesetzt. Daß es sich gerade zu ihr geflüchtet hat, ist das nicht ein Zeichen? Hat sie nicht gewisse Verpflichtungen, nun sie sich einmal so entschieden für diesen Benjamin und seine Zeitung eingesetzt hat?
Es kann ihr, alles in allem, gerade jetzt nur lieb sein, der Welt zu zeigen, daß sie zu Friedrich Benjamin und zu seinen Leuten gehört und nicht zu Erich und den Leuten von Nürnberg.
Aber es ist ein sehr hoher Betrag, den man von ihr verlangt. Wenn sie ihn weggibt, dann wird sie das auf ein paar Jahre zu spüren haben. Sie wird dann nicht mehr so aus dem vollen hausen können wie bisher.
Liegt ihr so viel daran, weiter aus dem vollen zu hausen? Steht wirklich der Genuß, den sie aus ihrer breiten Geselligkeit zieht, im rechten Verhältnis zu den Kosten? Wie wäre es, wenn sie, zum Beispiel, ihr Pariser Haus aufgäbe und eine Zeitlang auf Reisen lebte? Hier weiterzuleben macht ihr ohnedies keinen Spaß mehr. Auf den Gesichtern ringsum liest sie nichts als kaum unterdrückte Neugier, ein Gemisch aus Mitleid, Anerkennung und Schadenfreude.
Das Haus selber ist ihr verleidet. Alles erinnert sie an Erich, der Tisch, an dem er gegessen hat, die Stühle, auf denen er gesessen ist, die Gläser, aus denen er getrunken, das Bett, in dem er mit ihr geschlafen hat. Sie wird froh sein, wenn sie das alles nicht mehr um sich hat. Ja, das wäre eine Lösung: wenn sie den »P. D. P.«-Leuten das Geld gibt, dann wird sie das Haus veräußern und auf Reisen gehn.
Aber soll sie der »P. D. P.« das Geld geben? Sie hat Erich davongejagt, sie will nichts mehr mit ihm zu tun haben: aber soll sie ihn bekämpfen?
Sie beredete die Angelegenheit mit Monsieur Pereyro. Der hielt es für verdienstvoll, die »P. D. P.« zu unterstützen; doch fand auch er die Summe, welche die Leute forderten, sehr hoch. Er riet, ihnen einen geringeren Betrag zu geben. Doch mit den Leuten zu feilschen widerstrebte Lea. Sie hatte vor sich selber einen Vorwand gefunden, das Haus loszuschlagen, und wollte ihn nicht mehr fahrenlassen.
Vor einer endgültigen Entscheidung mußte sie sich mit Raoul auseinandersetzen. Der Junge war in den letzten Wochen immer weiter von ihr fortgeglitten. Er stak tief in seiner Arbeit und war mit Leuten zusammen, zu denen sie weder äußere noch innere Beziehungen hatte, vor allem mit einem gewissen Tschernigg. Zu ihr war Raoul höflich und liebenswürdig wie stets, doch in sein Inneres hineinsehen ließ er sie nicht mehr. Ihr war ein wenig bange vor der Unterredung.
In dem gelben Sessel sitzend, der sie gut rahmte, erzählte sie ihm gleichmütig, doch mit kleinem Herzklopfen, von der Bitte der »P. D. P.« und von ihrem Projekt, das Haus allenfalls zu verkaufen, um auf Reisen zu gehen. Während sie so zu ihm sprach, spürte sie, wie sehr sie ihn liebte. Wozu eigentlich das Haus weggeben? Auch wenn das Haus nicht mehr um sie ist, wird ihr das Bild Wieseners stets vor Augen sein in diesem ihrem Jungen Raoul. Und will sie etwa Raoul fort haben? Gerade das will sie doch von ihm erreichen, daß er mit ihr auf Reisen geht. Sie muß Raoul halten, das ist das Wichtigste. Und eilig, nachdem sie alles berichtet hatte, fügte siehinzu, was sie da vorschlage, das sei nicht mehr als ein vager Plan, und wenn ihm daran liege, weiter in dem Haus an der Rue de la Ferme zu leben, dann sei das Projekt von vornherein erledigt und begraben.
Raoul hörte zu, sehr höflich, doch so, als ginge ihn die Angelegenheit kaum an. In Wahrheit bewegte sie ihn. Wenn er es recht bedachte, dann kam der Plan der Mutter seinen eigenen Wünschen entgegen. Auch ihm war seine Vergangenheit zuwider geworden, und er schämte sich ihrer. Der Aberwitz und die Brutalität der Nürnberger Gesetze hatten ihm gezeigt, wie gnädig das Schicksal gewesen war, indem es ihn davor
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