Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
nach der Freilassung Benjamins und nach den Nürnberger Gesetzen eine Zeitlang gebessert; aber der Aufschwung hatte nur kurze Weile vorgehalten.Jetzt gingen Gerüchte, die »P. N.« würden eingehen. Doch selbst wenn sich das bewahrheiten sollte, konnte es sich frühestens in ein paar Wochen auswirken. Vorläufig mußte man sich von einer Nummer zur nächsten durchfretten.
Nein, mit dieser Schnorrerei im kleinen kam man nicht weiter. Zarnke hatte eine Idee: wie wäre es, wenn man einmal Madame de Chassefierre anginge, und um eine richtige Summe?
Dülken und Pfeiffer, als er ihnen das vorschlug, starrten ihn an. Madame de Chassefierre? Notre-Dame-des-Nazis? Die Frau, die man noch vor kurzem so wüst angepöbelt hatte? Aber Zarnke hielt für jeden Einwand eine Antwort bereit. Die »P. N.« hatten Madame angepöbelt, nicht die »P. D. P.«. Und Madame de Chassefierre hatte sich, wie der Fall Sepp Trautwein bewies, mittlerweile aus einer Notre-Dame-des-Nazis in eine Notre-Dame-des-Refugiés verwandelt. Proselyten waren die eifrigsten Bekenner. Und schied nicht überdies Heilbrun, der Autor jener Angriffe auf Wiesener und Madame de Chassefierre, aus der Leitung der »P. D. P.« aus? Ein bißchen Jesuitertum war erlaubt; man beging kein Unrecht, wenn man Madame de Chassefierre andeutete, es seien vor allem jene Angriffe gewesen, derenthalb man den Wechsel in der Leitung vorgenommen habe. Mehr und mehr verlor Zarnkes Idee, Madame de Chassefierre für die »P. D. P.« einzuspannen, ihr Befremdliches.
Durch Monsieur Pereyro sagten sich Friedrich Benjamin, Julian Zarnke und Peter Dülken bei ihr an.
Lea hatte tief und überrascht aufgeatmet, als sie die Mitteilung von Friedrich Benjamins Befreiung las. So war also das Lamm des Armen dennoch davongekommen, und Erich hatte sich überschätzt, sich und die »Macht«, der er mit solcher Überzeugung und solcher Servilität anhing; nun hatte er seine Lektion weg. Allein so tief ihre Befriedigung darüber gewesen war, triumphiert, wie Wiesener angenommen, hatte sie nicht.
Das Gefühl der Erleichterung, das sie bei Friedrich Benjamins Freilassung verspürt hatte, war rasch verschwunden unterdem Schlag, den auch ihr die brutale Manifestation von Nürnberg versetzt hatte. Sie verstand von Politik genug, um zu erkennen, daß Benjamins Freilassung nur ein Einzelfall, die Nürnberger Gesetze aber ein Glied einer großen Kette waren. Sie las Wieseners Artikel über den »Parteitag der Freiheit«. Gerade weil sie die süße Beredsamkeit dieser Sätze mit der alten Kraft anrührte, durchschaute sie ihre ganze Niedertracht. Sie kannte Erich. Er war so grundverlogen, daß er, solange er daran arbeitete, der Gemeinheit ein holdes Äußeres anzuschminken, selber an seine Argumente glaubte. Wie hatte sie nur so lange mit diesem Mann verbunden bleiben können? Sie ekelte sich vor sich selber. Als Hitler kam, damals schon, hätte sie sich von ihm trennen müssen. Trotzdem war ihr Gefühl von Befreiung und Sauberkeit immer von dem gleichen Frösteln begleitet wie unmittelbar nach seiner Verabschiedung. So wie sie jetzt mochte sich ein Morphinist fühlen in den ersten Wochen nach der Entziehungskur.
Als ihr der Buchhändler den »Beaumarchais« geschickt, hatte sie in der Tat die Seite hinter dem Titel aufgeschlagen, jene Seite, wo im Manuskript ihr Name gestanden war. Auch hatte sie, genau wie Wiesener vermutet, gelächelt, als sie die Seite leer gefunden; es war das kaum merkliche Lächeln des Bildes gewesen, doch wissender, trüber, verächtlicher.
Und nun saßen die Leute von der »P. D. P.« bei ihr, und sie sah Friedrich Benjamin in die kugeligen, traurigen, fanatischen Augen. Da hatte sie es also, ihr Lamm des Armen. Das war er, der schuldlose Anlaß der Verwicklungen, in die sie geraten war. Sie spürte Genugtuung, daß sie sich am Ende dennoch besiegt hatte, und daß nun dieser Benjamin hier saß und nicht mehr Erich.
Justizrat Zarnke, nach ein paar Eingangsfloskeln, leitete zum Thema über. Soviel er gehört habe, meinte er, spreche Madame de Chassefierre gut deutsch. Da werde es sie vielleicht interessieren, daß in das Französische des Pariser Judenviertels auf dem Umweg über das Jiddische neben andern deutschen Worten vor allem auch das Wort »Gäste« eingedrungensei. Es bedeute aber dies Wort, das übrigens »Gäschte« ausgesprochen werde, die Bettler, die Fordernden, denn leider seien eben die Gäste in den meisten Fällen solche »Gäschte«. Auch sie selber seien das. Und
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