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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Manege reitend zu singen hatte, und es entstand dann ein verwickelter Prozeß, weil dieser Tenor, während er die Gralserzählung sang, nicht schnell genug galoppierte. Ich bin neugierig, ob die Partei nicht demnächst von uns Diplomaten verlangen wird, daß wir Politik nur zu Pferde machen.«
    Heydebreggs schwerer Schädel wirkte schläfrig; ja, er zog die fast wimperlosen Lider so tief über die Augen, daß manzweifeln konnte, ob er Spitzis Dreistigkeiten überhaupt gehört hatte. Der Parteigenosse besaß Gleichmut und war auf seine Art gerecht. Wenn auch dieser von Gehrke ungeduldig und eigenmächtig war, so daß man ihn kaum mit Erfolg für ernsthafte Geschäfte hätte verwenden können, begabt war er; das bewies sein Projekt, den Pressefrieden mit englischer Hilfe durchzusetzen. Dazu kam die Protektion des Bären. Spitzi also hatte sich geirrt, er war für Heydebregg noch nicht endgültig erledigt. Dieser dachte vielmehr an einen Kompromiß; er wollte den Parteigenossen von Gehrke zwar kaltstellen, daß er kein Unheil mehr anrichten konnte, ihn aber in seinem Amte belassen. Spitzi indes, nicht ahnend, daß noch keineswegs alles verloren war, wurde immer verwilderter. »Haben wir eigentlich schon«, wandte er sich an den steinern dasitzenden Heydebregg, »über unsere Madame de Chassefierre gesprochen, seitdem sie sich so merkwürdig entwickelt hat? Daß gerade sie sich als Schutzheilige unserer Emigranten auftun werde, das hätte sich auch keiner von uns träumen lassen, als wir die Beine mit soviel Sicherheit und Behagen unter ihren Tisch steckten.« Er ruhte aus auf dem »wir« und schaute Heydebregg strahlend ins Gesicht. »Da sieht man«, sagte er dreist und langsam, »wie auch ein geübtes Aug sich täuschen kann«, und lächelnd schickte er den Blick von Heydebregg zu Wiesener und wieder zurück zu Heydebregg.
    Der, während er den Schädel bewegungslos hielt, dachte: Dieser Rotzlöffel. Ich werde ihn lehren, Konrad Heydebregg anzupöbeln. Ich werde ihm eins auf die feudale Schnauze geben. Spitzis Anspielung hatte ihn an einer verwundbaren Stelle getroffen. Für morgen hatte ihn der holländische Gesandte zum Lunch geladen; es war sehr wohl möglich, daß er bei diesem Anlaß Madame de Chassefierre wiedersehen wird, und er war sich noch nicht schlüssig geworden, ob er hingehen sollte. Aber darüber war er jetzt schlüssig, daß er, trotz Londoner Pressefriedens und trotz des Bären, den albernen Lausejungen nicht nur kaltstellen, sondern endgültig absägen wird.
    Laut sagte er: »Sie sind heute abend sehr witzig, Herr von Gehrke.« Er sprach mit besonders teilnahmsloser Stimme, er sagte »Herr von Gehrke«, nicht »Parteigenosse von Gehrke«, und Wiesener triumphierte. Jetzt hatte Spitzi selber in diese gewaltige, weißhäutige Hand die Feder gedrückt, die sein Urteil unterzeichnen sollte.
    Am nächsten Morgen, noch im Bett, fragte sich Heydebregg, ob er nun zum Lunch des holländischen Gesandten gehen solle. In ausländischen Zirkeln traf es sich oft, daß deutsche Diplomaten und hervorragende Parteifunktionäre mit erklärten Gegnern des Naziregimes an einem Tisch sitzen mußten. Sollte er dem holländischen Gesandten absagen, bloß weil ihn dieser Lausejunge wegen Madame de Chassefierre gehänselt hatte?
    Es war natürlich nicht angenehm, daß die Dame so demonstrativ zu den Gegnern hinübergeschwenkt war. Schon von ihrem Konzertabend hatte man viel Wesens gemacht, und als jetzt gar bekannt wurde, daß sie die »P. D. P.« subventionierte, hatte der Botschafter selber es sich nicht nehmen lassen, Heydebregg über diese Fahnenflucht ein paar höflich erstaunte Worte schadenfrohen Bedauerns zu sagen. Doch der Parteigenosse hatte sich während seines Aufenthalts in Frankreich »Philosophie« zugelegt, das, was die Franzosen Philosophie nannten, er verspürte keinen Groll gegen Lea. Er bereute es nicht einmal, in Arcachon ihr Gast gewesen zu sein. Wenn sie sich zu den Gegnern geschlagen hatte, so war das eine Laune gewesen, ein Streich. So ein Racker, dachte er wohlwollend und altmodisch, ein sogenanntes enfant terrible. In seinem Heimlichsten war er überzeugt, daß sich ihre Aktion weniger gegen die Partei als gegen den Parteigenossen Wiesener gerichtet hatte.
    Er trat hinaus auf den Balkon, sein massiger Körper, gebräunt, wenig behaart, war bekleidet nur mit der kurzen, dreieckigen Trainingshose. Diszipliniert führte er seine Körperübungen aus, kreiste die Arme, beugte sie, streckte sie,

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