Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Jahren nun, in New York, unter deutschamerikanischen Juden, habe er erlebt, wie eine Dame diesen Trinkspruch eingeschränkt habe durch den energischen Vorbehalt: »Aber ohne mich.«
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Madame de Chassefierre wird abgehängt
Es war keine offizielle Abschiedsfeier, aber jeder wußte, daß Parteigenosse Heydebregg in den nächsten Tagen Paris verlassen und also nicht so bald mehr ins Deutsche Haus kommen werde, und sehr viele hatten sich eingefunden, um dem mächtigen Manne vor seiner Rückkehr ins Reich ihr Gesicht nochmals in Erinnerung zu bringen. Es herrschte eine kameradschaftlich herzhafte, lärmende Heiterkeit.
Ich kenne euch, dachte Heydebregg. Mancher unter euchist deshalb so vergnügt, weil er glaubt, er sei mich jetzt ein für allemal los. Das ist ein sogenannter Aberglaube, meine Herren. Ich werde noch von Berlin aus eine abschließende Musterung unter euch halten.
Der Parteigenosse sah heute, da er sich zum letztenmal inmitten der deutschen Kolonie zeigte, genauso aus wie seinerzeit, da er in Paris aufgetaucht war. Das bißchen Pariser Firnis, das er in diesen Monaten angenommen, war wieder abgefallen. Seine Bewegungen waren korrekt und marionettenhaft gezirkelt, seine teilnahmslose, weithin vernehmbare Stimme hatte, wenn er französisch sprach, den ostpreußischen Akzent seiner ersten Zeit. Ja, selbst die gewaltige, schwarze Krawatte trug er wieder, die den Westenausschnitt ganz ausfüllte. Er wirkte statuarisch, imponierend; die Stimmen senkten sich unwillkürlich, wenn er mit seinen knarrenden Stiefeln näher kam, und auf wen er die großen, fast weißlichen, merkwürdig stumpfen Augen richtete, der nahm automatisch eine straffere Haltung an, als wolle er eine Ehrenbezeigung erweisen.
Einer indes war keineswegs aufgelegt, sich von dem ehrfurchtgebietenden Anblick Heydebreggs einschüchtern zu lassen: Spitzi. Er hatte keinen Anlaß mehr, dem Sonderbeauftragten des Führers, wie die andern, seine wahre Natur zu verbergen und ihm in den Hintern zu kriechen. Als er ein zweites Mal in London gewesen war, hatte er den bösartigen unterirdischen Widerstand der Partei gegen sein Projekt noch viel merkbarer zu spüren bekommen als das erstemal. Seine Erledigung war somit besiegelt, er wird bald nichts weiter sein als das, was er vor Hitler gewesen war, ja noch viel weniger; denn als ein in Ungnade Gefallener kann er sich im Reich schwerlich mehr ohne Gefahr sehen lassen. Es wird ihm kaum etwas andres übrigbleiben, als sich dem deutschen oder auch dem französischen Geheimdienst zur Verfügung zu stellen oder wieder an einem der großen französischen Badeorte den Tennistrainer zu machen. Verlockend war diese Aussicht nicht.
Einen kleinen Vorteil indes brachte seine Niederlage mitsich: er als einziger in diesem respektabeln Kreis durfte sich einen Spaß erlauben. Da er schon erledigt war, warum sollte er sich nicht, auf seinem Sterbebett, die Freude machen, Heydebregg die Wahrheit zu sagen? Lächelnd erinnerte er sich, wie er sich als Schuljunge an einem seiner Lehrer gerächt hatte. Dieser Mann, der Oberlehrer Weißmöller, hatte ihn einmal in seiner Wohnung nachsitzen lassen. Das war dem Manne nicht gut bekommen; er, Spitzi, hatte die Gelegenheit genützt. Nicht nur hatte er einige besonders großartig ausschauende Bücher des bücherliebenden Oberlehrers mit Hilfe seines Frühstücksbrots durch Schmalzflecken versaut, er hatte sich auch aus einem schönen, wertvollen Sammelwerk, das offenbar die Zierde der Bibliothek darstellte, einen Band herausgelangt und über zwei Seiten mit sympathetischer Tinte und in verstellter Schrift in großen Lettern geschrieben: »Blutige Rache dem Oberlehrer Weißmöller, dem Schwein.« Noch heute schmunzelte er befriedigt, wenn er an jene drastische Meinungsäußerung dachte. Mit ähnlicher Deutlichkeit wird er es heute Heydebregg geben, seinem scheidenden Feind.
Frech und selbstverständlich also setzte er sich an den Tisch des Parteigenossen und beteiligte sich an dessen Gespräch mit Wiesener. Lenkte bald über auf kleine Tagespolitik und machte sich lustig über einen unlängst erschienenen Erlaß, demzufolge auch die Privatdozenten und jüngeren Universitätsprofessoren an gewissen soldatischen Übungen der gesamten Bevölkerung teilzunehmen hätten. »Ich bin neugierig«, meinte er mit seinem strahlenden, jungenhaften Lächeln, »wann auch wir Diplomaten solche Übungsmärsche mitmachen müssen. Der Zirkusdirektor Renz hat einmal einen Tenor engagiert, der in der
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