Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
bewahrt hatte, sich mit diesem Pöbel tiefer einzulassen. Er bemitleidete geradezu Monsieur Wiesener, der sich den Halbtieren »auf Gedeih und Verderb« ergeben hatte. Die Periode, da er sich selber, ein kleiner Machiavell, aus politischem Ehrgeiz jenen Leuten verbunden hatte, empfand er nun, da er in den sichern Hafen seiner Bestimmung eingelaufen war, als etwas Fremdes, Abgelebtes, Verdächtiges, Anrüchiges. So wie der Primitive die abgespaltenen oder ausgeschiedenen Teile seines Körpers, Haare, Nägel, Blut, Exkremente, verbirgt und verscharrt, so drängte es ihn, alles zu beseitigen, was ihn an diese seine Vergangenheit erinnern konnte. Allein ein widerspruchsvolles Gefühl, Freude an der Tradition, philologisches Interesse an der allgemeinen Entwicklung, aristokratisch versnobte Abneigung gegen alles Zerstören, hielt ihn davon ab. Noch immer jedenfalls stand der Hausaltar in seiner Ecke. Mit der Auflösung des Hauses werden diese Dinge von selber verschwinden.
Im übrigen kann man, nach Nürnberg, gar nicht oft und deutlich genug manifestieren, daß man mit Monsieur Wiesener nichts mehr zu tun hat. Er hat Wieseners Essays über Nürnberg gelesen. Sie zeigen eine anerkennenswerte Wortkunst, ihre Form ist brillant, doch ihr Inhalt ist vulgär. Es ist Verrat am Geist, es ist niederträchtige Verfälschung, die billige Barbarei der Nazi für Kraft auszugeben und ihre sture Vergottung der eigenen Horde für neues Weltgefühl. WasMonsieur Wiesener da feilbietet, das sind Glasperlen, er verkauft Margarine als Butter.
Aber jetzt ist sicher schon fast eine Minute verstrichen, seitdem die Mutter zu Ende ist, er muß ihr antworten. Gelassen redete er ihr zu, ihre Pläne auszuführen. Der »P. D. P.« Geld zu geben, erklärte er, sei nützlicher und origineller als die übliche fade Wohltätigkeit. Auch begreife er es durchaus, daß sie das ewige Paris los sein wolle. Er selber, wenn er mit seiner Arbeit fertig sei, werde sie gern eine Weile auf ihrer Reise begleiten.
Als Madame de Chassefierre dem Justizrat Zarnke mitteilte, sie sei bereit, der »P. D. P.« die verlangte Summe zur Verfügung zu stellen, dankte er ihr vielwortig. Höflich und verschmitzt fuhr er fort, die Herren von der »P. D. P.« bäten sie um einen weiteren Dienst; sie möge sich persönlich zu ihnen bemühen, um die Quittung in Empfang zu nehmen. Etwas verwundert sagte sie zu.
Auf der Redaktion der »P. D. P.« setzte ihr Peter Dülken auseinander, warum man sie hergebeten habe. Es widerstrebe ihnen, erklärte er, eine so große Summe als Geschenk anzunehmen. Sie wollten kein Almosen. Sie wären also Madame de Chassefierre zu Dank verpflichtet, wenn sie den Betrag lediglich als ein Darlehen betrachten dürften, und sie bäten sie, einen Schuldschein darüber anzunehmen, fällig dann, wenn sie, die Herren von der »P. D. P.«, wieder ungefährdet nach Deutschland zurückkehren könnten.
Lea wußte nicht recht, was sie darauf erwidern sollte. Ein kleines, peinliches Schweigen war. Da tat Friedrich Benjamin den Mund auf. Wenn sie, die Leute von der »P. D. P.« erklärte er, und seine Augen brannten gläubig, nicht ebenso fest wie von ihrem eigenen Tod von ihrer Rückkehr nach Deutschland überzeugt wären, dann hätten sie den Kampf längst aufgegeben, dann machten sie nicht die »P. D. P.«
Zarnke hatte das Abkommen in eine juristisch stichhaltige Form gebracht. Lea unterzeichnete das merkwürdige Schriftstück,und einen Augenblick lang glaubte sie beinahe selber, daß sie einmal ihr Geld wiedersehen werde.
Noch lange, nachdem sie fort war, saßen die Männer zusammen und ergingen sich in Plänen, was sie alles aus der »P. D. P.« machen wollten. Jetzt konnten sie sich ihren alten, heißen Wunsch erfüllen, jetzt konnten sie die Zeitung täglich erscheinen lassen. Jetzt war es gewiß, daß die Stimme der deutschen Emigration nicht mehr verstummen werde bis zu ihrer Rückkehr.
Daß man diese Rückkehr erleben werde, daran zweifelten sie nicht. »Ich hoffe«, sagte grimmig Peter Dülken, »wir werden ein sehr verändertes Deutschland vorfinden. Ich hoffe, unser Deutschland wird so sein, daß mancher wohlgenährte Emigrant seine Emigration vorziehen wird.«
Justizrat Zarnke konnte nicht umhin, eine seiner Geschichten zu erzählen. An ihrem Passahabend, wenn sie sich des Auszugs aus Ägypten erinnern, pflegen seit vielen Jahrhunderten die Juden einen Becher Weines zu leeren mit dem Trinkspruch: »Nächstes Jahr in Jerusalem.« Vor ein paar
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