Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
»Natürlich«, erwiderte Lea, »was denn sonst? Aber es war Ihnen doch wohl nichts Neues, daß wir nicht auf der gleichen Seite der Barrikade stehen.« – »Ich verlasse morgen Paris, für immer«, erklärte mit seiner teilnahmslosen Stimme Heydebregg. »Oh, das bedaure ich, Monsieur«, erwiderte Lea. Dann saßen sie noch eine Weile schweigend zusammen.
Lea wird sich zeitlebens klar und unmißverkennbar auf Seite der Antifaschisten stellen. Aber des Nilpferds wird sie niemals mit einem bösen Gedanken gedenken.
Nach einiger Zeit, mit einer tiefen, korrekten Verbeugung, verabschiedete sich Heydebregg. Er wartete darauf, daß sie ihm die Hand gebe. Sie gab sie ihm. Er wird Madame de Chassefierre so bald nicht wiedersehen, vielleicht überhaupt nie mehr. Langsam nahm er ihre lange, wohlgebildete Hand in seine massige, weißhäutige, hielt sie, ließ sie langsam wieder los.
An diesem Abend aß er bei Wiesener. Die beiden Herren waren allein. Heute sah Heydebregg nicht so streng und deutsch aus wie gestern, sondern ließ gewissermaßen ein letztes Mal aus sich herausleuchten, was er von dem milden, lockeren Wesen der Stadt Paris in sich aufgenommen hatte.
Nach dem Essen saß man in der Bibliothek, beim Kaffee. »Selbst wenn Sie wieder einmal nach Paris kommen sollten, Parteigenosse«, sagte Wiesener, »wird dies ein Abschiedsabend gewesen sein. Denn hier in diesen Räumen sehe ich Sie bestimmt nicht wieder. Ich gebe nämlich die Wohnung auf; sie wird mir zu eng. Ich denke daran, mir ein Haus zu kaufenoder vielleicht auch zu bauen.« – »Ich freue mich, daß Sie sich vergrößern, Parteigenosse«, erwiderte Heydebregg. »Aber manchmal werden Sie doch mit Bedauern an diese Räume zurückdenken. Oder täusche ich mich da?« Beide schauten sie auf Madame de Chassefierres Porträt. Heydebregg hatte mit Interesse wahrgenommen, daß Wiesener Madames Bild auch nach dem Bruch bei sich hängenließ. Der Parteigenosse Heydebregg mißbilligte das, dem Manne Heydebregg gefiel es.
»Wenn ich einmal umziehe«, erwiderte langsam Wiesener, »dann werde ich das gründlich machen, damit haben Sie recht. In meinem neuen Haus wird wenig an diese Räume erinnern. Es ist gut«, fuhr er fort, »seine Vergangenheit zuweilen auszurümpeln. Man schleppt zuviel Vergangenheit mit sich herum. Wenn man sich neue Luft schaffen will, muß man mancherlei einreißen. Denken Sie an die Stadtbaupläne des Führers. Aber um einiges hier wird es schade sein.« – »Ja«, entgegnete Heydebregg, und sein Blick war unverhohlen auf Madame de Chassefierres Porträt gerichtet, »um einiges ist es wohl schade.«
Wiesener war es, als warte der andere darauf, daß er sich ihm anvertrauen werde. Durch Heydebreggs »Depravierung«, durch seine Verbindung mit Lea war eine Bindung auch zwischen ihnen beiden entstanden, eine Spießgesellenschaft, und es konnte nur vorteilhaft sein, die Stricke fester zu knüpfen. »Ich habe«, erklärte er, und in seiner Stimme war etwas wie Beichte und Geheimnis, »kein Bedenken getragen, das Bild«, er brauchte kaum eine Kopfneigung, um es zu bezeichnen, »hier hängenzulassen. Ich stehe zu meiner Vergangenheit, ich verleugne sie nicht. Aber das Bild in mein neues Haus mitzunehmen, das wäre nach dem Vorgefallenen doch wohl eine Provokation.« Heydebregg schwieg, sein Gesicht sah teilnahmslos aus, zugesperrt, steinern, wie gestern, als Spitzi seine dreisten Reden geführt hatte. Hatte sich Wiesener zu weit vorgewagt? »Was meinen Sie, Parteigenosse?« fügte er hinzu, ein wenig unsicher.
Langsam tat Heydebregg den Mund auf. »Sie haben wahrscheinlich recht«, sagte er, »in Paris kann man das Bild wohl nicht aufhängen. Aber es ist schade darum, es ist ein Kunstwerk.« – »Ja, ein Kunstwerk ist es «, antwortete Wiesener und sprach, auch er, ungewohnt langsam. »Und veräußern möchte ich es auch nicht. Ewig werde ich hier in Paris wohl nicht sitzenbleiben«, fuhr er fort, mit etwas gewaltsamer Lustigkeit, »und wenn ich dann, sei es nach Berlin zurück, sei es nach New York oder London gehe, dann suche ich das Bild wieder vor und hänge es auf.«
»Es ist eigentlich eine merkwürdige Vorstellung«, sagte nachdenklich Heydebregg, er hatte die nackten Lider geschlossen und sah aus wie eine riesige Schildkröte, »wie so ein Bild auf dem Speicher oder sonstwo liegt, sozusagen tot. In Rostock, im Kolleg über Geschichte der mittelalterlichen Philosophie, erklärte uns Professor Cornelius den Grundsatz Berkeleys: ›Sein =
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